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Das Magdalena-Evangelium: Roman

Das Magdalena-Evangelium: Roman

Titel: Das Magdalena-Evangelium: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen McGowan
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haben Sie Maria gesehen? Ich meine, könnten Sie mir ihr Gesicht in allen Einzelheiten beschreiben?«
    Rachel lächelte wieder auf jene wohlwollende, wissende Art, die Maureen als ausgesprochen tröstend empfand. Mit jemandem über die Visionen zu sprechen, als wären sie das Natürlichste auf der Welt, vermittelte Maureen ein überraschend sicheres Gefühl. Wenn sie schon den Verstand verlor, dann war sie wenigstens in angenehmer Gesellschaft.
    »Ich kann sogar noch etwas Besseres, als ihr Gesicht zu beschreiben. Kommen Sie.«
    Rachel ergriff sanft Maureen am Arm und führte sie in den hinteren Teil des Ladens. Sie deutete auf die Wand hinter der Kasse, doch Maureens Augen hatten das Porträt bereits entdeckt. Es war ein Ölgemälde und zeigte eine Frau mit rötlich braunem Haar, einem außergewöhnlich schönen Gesicht und den ungewöhnlichsten haselnussbraunen Augen, die man sich vorstellen konnte.
    Rachel beobachtete aufmerksam Maureens Reaktion und wartete darauf, dass sie etwas sagte. Es sollte ein langes Warten werden. Maureen hatte es die Sprache verschlagen.
    Leise erbot sich Rachel: »Wie ich sehe, haben Sie sich bereits kennen gelernt.«

    So perplex Maureen über das Gesicht in dem Bilderrahmen auch gewesen war, noch mehr hatte sie erschrocken, was darauf folgte. Nach dem ersten Schock hatte sie zu zittern begonnen, bevor ein Schluchzen ihren Körper erschüttert hatte.
    Sie hatte einfach nur dagestanden und gut eine Minute lang geweint, vielleicht auch zwei; anfänglich hatten weitere Schluchzer ihren Körper erbeben lassen, bis sie einem leisen Wimmern gewichen waren. Sie verspürte solch schrecklichen Kummer, einen tiefen und brennenden Schmerz, aber sie war nicht sicher, ob das wirklich ihre eigene Traurigkeit gewesen war. Es war, als hätte sie den Schmerz der Frau auf dem Porträt erfahren. Doch dann veränderte sich das Gefühl. Nach ihrem anfänglichen Ausbruch hatte Maureen mehr aus Erleichterung geweint und sich dem hingegeben. Das Ölgemälde war eine Art Bestätigung; es machte die Traumfrau real.
    Die Traumfrau, der sie jetzt einen Namen geben konnte. Maria Magdalena.

    Rachel war freundlich genug, etwas Kräutertee im Hinterzimmer des Ladens zu kochen. Sie gestattete Maureen, sich in den kleinen Lagerraum zu setzen, um ihr ein wenig Privatsphäre zu gewähren. Ein junges Paar auf der Suche nach Büchern über Astrologie hatte den Laden betreten, und Rachel huschte davon, um ihnen zur Hand zu gehen. Maureen saß an einem kleinenTisch im Hinterzimmer, nippte an ihrem Tee und hoffte, dass die Behauptung auf der Teepackung nicht nur ein Werbegag war: »Beruhigt Ihre Nerven«, hieß es dort.
    Als Rachel das Geschäftliche im Laden erledigt hatte, kam sie wieder zurück, um nach Maureen zu sehen. »Sind Sie okay?«
    Maureen nickte und trank noch einen Schluck. »Es geht mir wieder gut. Danke. Rachel, mein Ausbruch tut mir wirklich leid. Es ist nur … Ich … Haben Sie das gemalt?«
    Rachel nickte. »Meine Familie war schon immer künstlerisch begabt. Meine Großmutter hat mehrere Versionen von Maria aus Ton geformt. Ich habe mich oft gefragt, ob das vielleicht der Grund dafür ist, warum Maria uns erscheint – weil wir die Fähigkeit besitzen, ihr irgendwie Form zu verleihen.«
    »Oder vielleicht liegt es daran, dass Künstler offener sind«, dachte Maureen laut. »Dass sie sozusagen die richtige Wellenlänge haben.«
    »Möglich. Vielleicht eine Kombination von beidem. Aber ich will Ihnen noch etwas anderes erzählen. Ich glaube von ganzem Herzen, dass Maria gehört werden will. In den letzten zehn Jahren ist sie hier in McLean immer häufiger erschienen. Im vergangenen Jahr hat sie mich geradezu heimgesucht, und ich wusste, dass ich sie malen musste, wenn ich meinen Frieden wiederhaben wollte. Nachdem das Porträt fertig und aufgehängt war, habe ich wieder schlafen können. Tatsächlich habe ich sie seitdem nicht mehr gesehen.«

    Zurück in ihrem Hotelzimmer später am Abend, schwenkte Maureen den Rotwein in ihrem Glas und blickte gedankenverloren in die klare Flüssigkeit. Dann schaute sie auf das Kabelprogramm in ihrem Fernseher und versuchte, sich nicht über die dort laufende Diskussion aufzuregen. Allein die Vorstellung, dass Leute wie die auf der Mattscheibe über ihr Werkdiskutierten, war eine Qual für sie. Es war, als würde man Zeuge eines verheerenden Verkehrsunfalls … Maureen konnte die Augen einfach nicht abwenden, egal wie unangenehm der Anblick auch sein mochte.
    Der

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