Das magische Buch
Nachmittag bedankt«, sage ich zu meinem Bruder. »Du hast was gut bei mir.«
»Langsam solltest du lernen, dich selbst zu verteidigen. Ich kann nicht ewig den Bodyguard für dich spielen.«
»Du hast ja recht, aber …«
»Kein Aber! Reiß dich zusammen und werd mal erwachsen!«, rät er mir.
Ich hatte schon immer das Gefühl, dass eigentlich Javier der Ältere von uns beiden ist. Ein seltsames Gefühl, das ich einfach nicht loswerde. Aber wer weiß, vielleicht ändert sich das ja irgendwann.
»Übrigens, wo wir schon mal dabei sind«, sagt Javier nach einer Weile. »Ich wollte mich auch bei dir bedanken … für das, was du für Papa machst. Ich finde es super, dass ihr ihm helft, das Buch zu Ende zu schreiben.«
»Hoffentlich werden wir rechtzeitig fertig. Es ist noch so viel zu tun, und wir dürfen Papa nicht zu sehr anstrengen. Er ist noch ein bisschen schwach.«
»Keine Sorge, Papa ist stark«, erwidert mein Bruder. »Die Arbeit tut ihm gut.«
»Hoffentlich hast du recht. Manchmal bin ich mir nicht sicher …«
»Ich habe vollstes Vertrauen zu dir. Schließlich bist du mein großer Bruder, und ich muss dich unterstützen.«
Javier ist so was wie mein lebendes Gewissen. Er sagt das, was ich selbst nicht auszusprechen wage.
Zum Glück kommt Lucía gerade zurück und unterbricht unser Gespräch. Ich hätte nicht mehr gewusst, was ich sagen sollte. Wo ich doch nicht mal sicher bin, ob wir rechtzeitig mit dem Buch fertig werden! Wir sind eben keine Profis, auch wenn wir uns noch so viel Mühe geben. Schließlich ist es das erste Mal, dass wir einem Schriftsteller helfen, ein Buch zu Ende zu schreiben.
8
Z u Hause angekommen, schlägt Lucía vor, unverzüglich mit der Arbeit zu beginnen. Sie will so schnell wie möglich anfangen. Aber ich finde, dass wir durchdacht an die Sache rangehen müssen.
»Vorher sollten wir etwas essen«, schlage ich vor, »dann halten wir länger durch. Wir haben viel vor.«
Javier kommt herein.
»Arbeitet ihr an Papas Buch?«, fragt er.
»Ja, wir müssen heute ein Kapitel fertig schreiben.«
»Gut, dann werd ich uns mal was zu essen machen«, sagt er. »Schriftsteller sind keine guten Köche.«
Wir essen schweigend, als wollten wir unsere Kräfte nicht unnötig vergeuden. Danach geht Javier ins Wohnzimmer, um fernzusehen. Wir verschwinden in Papas Arbeitszimmer. Lucía macht Licht, und ich stelle den Computer an. In den Ordnern finde ich, was ich suche: Das magische Buch .
»Hier ist es«, sage ich, »wir können anfangen.«
»Gut, ich diktiere und du schreibst. Fertig?«
Wie zwei Profis machen wir uns an die Arbeit. Nach und nach füllen sich die Seiten mit Wörtern, Sätzen, Abschnitten. Wenn wir ein Wort nicht verstehen, schlagen wir in dem Wörterbuch auf dem Computer nach. Das macht alles viel einfacher. Es läuft gut, die Arbeit ist schwer, aber wir kommen voran.
»Morgen gehen wir Eis essen«, sagt Lucía. »Es muss gefeiert werden, dass dein Vater so viel Vertrauen zu uns hat.«
»Vorher müssen wir aber sicher sein, dass ihm gefällt, was wir schreiben«, erwidere ich. »Wir müssen ihm beweisen, dass wir wirklich gut sind.«
»Ich freue mich so!«, sagt Lucía. »Das hätte ich mir nie träumen lassen: Einem richtigen Schriftsteller zu helfen, ein Buch zu schreiben! Wahnsinn!«
»Jetzt übertreib mal nicht! Schließlich schreiben wir nur das auf, was er uns diktiert hat. Mehr nicht.«
Lucía antwortet nicht. Das macht sie nur, wenn sie nicht einverstanden ist … oder wenn sie nachdenkt …
»Das ist das erste Mal, dass wir etwas zusammen machen«, sagt sie nach einer Weile.
»Ja, und ich bin dir sehr dankbar dafür«, antworte ich.
»Du weißt ja, dass wir Schriftsteller lieber alleine arbeiten, oder?«
»Ja, ich weiß. Mein Vater ist genauso.«
»Willst du auch Schriftsteller werden, wenn du groß bist?«
»Nein, auf keinen Fall! Schriftsteller sind verrückt.«
»Würdest du denn nicht gerne herumreisen und Bücher schreiben?«
»Herumreisen? Wie mein Vater? Um für den Rest meines Lebens ganz alleine zu sein, ohne Freunde? Nein, danke!«
»Na ja, das musst du ja nicht alleine machen. Wir könnten zusammen reisen. Ich will die ganze Welt bereisen … und unsichtbare Bücher entdecken.«
»So wie Prinzessin Hanna?«
»Ja, ich wäre die Prinzessin und du Sigfrido, mein Page.«
Lucía überrascht mich immer wieder. Sie hat die unmöglichsten Ideen. Wie sollen wir ohne Geld durch die Welt reisen? Reisen ist nämlich sehr teuer. Daran
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