Das Magische Labyrinth
heißgeliebten Nicht vermietbar, der ihn normalerweise in heiße Tränen der Wut hätte ausbrechen lassen, konnte ihn jetzt noch mitnehmen. Er war sowohl zu müde als auch zu verzweifelt. Und, sagte er zu sich selbst, fast zu müde, um verzweifelt zu sein.
Sam hielt sich über Wasser. Seine rechte Hand schlug gegen einen harten Gegenstand. Er stieß einen Schmerzensschrei aus und betastete nasses, aufgequollenes Holz. Vor Freude aufatmend griff er danach und zog es zu sich heran. Er hatte keine Ahnung, was es war, vielleicht ein Bruchstück von einem Einbaum oder einem Kanu; aber es war groß genug, um sich daran festzuhalten.
Wo war Joe?
Sam rief seinen Namen. Niemand antwortete. Auch ein erneuter Versuch brachte ihm nichts als Schweigen ein.
War Joe von der Explosion erwischt worden? Die Detonation mußte über dem Wasser eine starke Druckwelle erzeugt haben. Es war nicht auszuschließen, daß sie jeden, der sich in der Nähe aufgehalten hatte, umgebracht hatte. Aber war Joe nicht ziemlich weit entfernt gewesen? Die Druckwelle mußte ungeheuer stark gewesen sein.
Vielleicht hatte der Schmerz des gebrochenen Arms auch dazu geführt, daß Joe das Bewußtsein verloren hatte, losgelassen hatte und untergegangen war.
Sam rief zweimal seinen Namen. Aus der Ferne hörte er einen Schrei. Eine Frauenstimme. Irgendwo trieb also noch eine weitere arme Seele im Wasser herum.
Die Nicht vermietbar wies nun einen sichtbar größeren Tiefgang auf. Sie besaß zahlreiche mehr oder weniger große geschlossene Abteilungen. Möglicherweise enthielt sie sogar genügend Luft, um oberhalb der Wasserlinie weiterzutreiben. Vielleicht würde sie von allein ans Ufer kommen. Segler und Ruderboote konnten sie ins Schlepptau nehmen.
Für einen Menschen in seiner Lage war Sam ein ungeheurer Optimist.
Er würde es nicht schaffen. Nun kam der Bug der Nicht vermietbar – sie trieb rückwärts dahin – an ihm vorbei. Dann erblickte er eins der Beiboote: die Plakate ankleben verboten. Es bewegte sich nur langsam und suchte offenbar nach Leuten, die im Wasser trieben. Die Suchscheinwerfer glitten über das Wasser, verharrten, glitten weiter und konzentrierten sich auf irgendwas. Der Gegenstand war zu weit entfernt, als daß er ihn hätte sehen können.
Plötzlich erinnerte er sich an König John. Der Mann saß gefesselt und hilflos in einer verschlossenen Kabine. Wenn ihn nicht jemand fand, war es um ihn geschehen. Er konnte nicht einmal um Hilfe schreien. Und selbst wenn er dazu in der Lage gewesen wäre: Es war niemand da, der ihn hätte hören können. Und selbst wenn man ihn hörte: Es gab keinen Schlüssel, um die Kabinentür zu öffnen. Natürlich konnte man das Schloß zerschießen, aber… aber was sollten die Spekulationen? Mit John war es aus. Er saß auf seinem Stuhl und wußte nicht einmal, daß das Schiff unterging. Selbst wenn das Wasser schon auf dem Hauptdeck stand, würde er davon noch nichts erfahren. Die Kabinen waren wasserdicht. Erst wenn sich die Atembeschwerden einstellten, würde er zu ahnen beginnen, was passiert war. Dann würde er verzweifelt zu kämpfen anfangen. Er würde sich drehen und winden wie ein Regenwurm und trotz des Knebels um Hilfe rufen. Die Luft würde schlechter und schlechter werden, bis er sich langsam zu Tode röchelte…
Seine letzten Stunden würden entsetzlich sein.
Früher hätte Sam sich eine solche Szene mit äußerstem Genuß vorstellen können.
Jetzt allerdings wünschte er sich nichts sehnlicher, als auf sein Schiff zurückzukehren und John befreien zu können. Nicht etwa, daß er ihn laufen lassen würde. Den versprochenen Prozeß würde er über sich ergehen lassen müssen. Aber Sam konnte den Gedanken eines solch schrecklichen Leidens und Sterbens nicht ertragen. Er wünschte niemandem einen solchen Tod.
Ja, er war weich. Wenn er, Sam, sich in einer solchen Situation befände: John würde sich daran ergötzen. Aber egal. Er war nicht John, und er war froh darüber.
Als das Beiboot wieder Fahrt aufnahm, vergaß er seinen Widersacher. Es war zu weit entfernt, als daß man seine Hilferufe hätte hören können. Die Plakate ankleben verboten eilte auf die andere Seite ihres Mutterschiffes zu und verschwand. Wollte Anderson die Überlebenden des sinkenden Schiffes an Bord nehmen? Wenn das sein Plan war, würde er zunächst dafür sorgen müssen, daß die letzten Männer von der Rex, jene Trottel, die offenbar immer noch nicht wußten, was das Stündlein geschlagen hatte, zur Aufgabe
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