Das magische Land 2 - Das Amulett der Schlange
Wildvolkwesen, von denen keine zwei sich glichen und die durch die allzu klare Luft sprangen und purzelten. Sie war korrumpiert. Sie schaute in jene klaren Augen und kultivierten Gesichter. Äußerlich waren sie ihr so ähnlich, aber in ihrem Inneren waren sie vollkommen anders.
Oder waren sie überhaupt anders? Was wusste sie schließlich schon über ihresgleichen? Die Insel war ihr ganzes Leben lang ihre Heimat gewesen. Diese Welt, in die man sie gezwungen hatte, erschien ihr mit jedem Atemzug, den sie tat, rätselhafter. Sie war dazu erzogen worden, Magie auszuüben, nicht um eine höfische Dame zu sein.
Das galt auch für diese drei. Es war nicht Mathilde, durch die sie die Antwort erhielt. Es war diejenige, die weder alt noch jung war: Darienne. Sie verfügte weder über Mathildes natürliche Wärme noch über Richildis' Weisheit, aber sie hatte etwas an sich, das Averil ansprach.
Averil schaute in ihre Augen, die zunächst dunkel schienen, in Wahrheit jedoch tiefblau waren. Sie fühlte keinen Anlass zu lächeln, ihr Herz allerdings war ein wenig erleichtert.
»Sagt mir«, sprach sie aus ihrer neugewonnenen Ruhe heraus. »Warum habt Ihr mich hierhergebracht?«
»Ihr brachtet Euch selbst hierher«, sagte Richildis. »Wir haben Euch nur die Möglichkeit angeboten.«
»Warum?«
»Weil«, erklärte Mathilde, »jede von uns an diesen Ort kam, verloren und schlecht vorbereitet, während sich die Wölfe näherten und die Jäger auf der Lauer lagen. Wir fanden alle früher oder später Ehemänner, und bei Euch wird das nicht anders sein. Aber wichtiger als das ist, dass wir Freundschaft fanden.«
»Ihr drei?«, fragte Averil.
»Und noch mehr Frauen«, sagte Richildis.
Averil nickte. Das erschien logisch. Adlige und Kinder von Kriegern, wie sie es waren, schickten vor der Armee gern Vorreiter aus. Warum sollten diese Frauen anders sein?
»Wenn es Euch beliebt«, sagte Mathilde, »es gibt heute Morgen ein Treffen. Nichts Gefährliches, keine heimliche Verschwörung, nur eine Zusammenkunft von Freundinnen. Werdet Ihr kommen?«
Keiner von Averils Beschützern schien Einwände zu haben. Es wäre ihr einerlei gewesen, wenn sie welche gehabt hätten, aber sie fand es interessant. Es war alles sehr interessant und ein wenig befremdlich.
»Ich werde kommen«, sagte sie nach einer nicht allzu großen Pause.
Sobald Averil dem Abenteuer zugestimmt hatte, erhob sich Richildis und schritt durch die Wand. Averil durchlebte einen kurzen Moment des Erstaunens, bevor das Muster aus Licht sie umgab. Es war kühl wie ein Windhauch; ein feines Singen war zu vernehmen.
Der Gesang wurde dünner und verstummte. Averil trat aus dem bunten Licht des Fensters in eine sonnendurchflutete Halle. Sie war hoch und luftig und mit einer atemraubenden Kuppel, deren Fenster von vielfarbiger Magie lebendig schimmerten.
Es erinnerte sie an die Kapelle der Priesterinnen auf der Insel, nur dass diese hier viel neuer und strahlender und überschwänglicher war. Sie glich einem Lachen, das Gestalt angenommen hatte, oder dem Geschmack von edlem Wein.
Averil hielt Maulaffen feil wie eine Bauernmagd auf dem Jahrmarkt. Sie wandte den Blick vom Glanz der Kuppel ab und richtete ihn auf die menschlichen Gesichter, die sie mit Interesse und hie und da ein wenig Argwohn beobachteten.
Es waren Frauen jeden Alters, aber in einem Punkt waren sie alle gleich: Sie trugen alle den Stempel der Insel. Averil hätte niemals erwartet, dass es so viele waren. Es mussten mindestens zwanzig sein. Sie saßen auf Stühlen oder Bänken oder standen ungezwungen da, während eine junge Frau auf einer Laute spielte und eine andere ein liebliches, trauriges Lied dazu sang. Es hätte irgendein beliebiger Damensalon in diesem Königreich sein können, wenn auch ein wenig prachtvoller als die meisten — wäre nicht die Magie gewesen, die überall darin schimmerte. Irgendetwas in der Luft sagte ihr, dass sie sich immer noch in Lutece in der Kathedrale befand: im Kapitelsaal oder in den Räumlichkeiten, die als Kapitelsaal dienten, wenn die Damen sie nicht brauchten. Im Moment konnte niemand hierhergelangen, dem man den Weg nicht gezeigt hatte.
Jede Frau hier war eine Magierin und nach Art der Insel erzogen. Ihr Zusammensein war eine Macht, stark genug, um Averils Knochen vibrieren zu lassen.
Averils Führerinnen fanden freie Plätze im Kreis und zogen sie mit sich, während das Lied langsam verklang. Als es zu Ende war, spürte Averil eine gewisse Anspannung und machte
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