Das magische Land 2 - Das Amulett der Schlange
Gesichter.«
»Es gab Fingerzeige und Warnungen«, sagte eine Dame aus Proensa. »Wir suchten nach Feinden außerhalb des Königreiches, wir durchforschten die Ströme der Magie. So wie die Rose es tat, bevor sie fiel. Wir fanden nichts. Wir schauten nie ins Herz unseres eigenen Königreichs, nie auf unseren eigenen allerheiligsten König.«
»Natürlich nicht«, sagte Averil. Ihr Zorn war ein wenig verraucht Vor einem Jahr hatte niemand die Wahrheit gekannt. Diejenigen, die sie erahnt hatten, waren gestorben oder ihre Seelen waren gebannt worden. Dann fiel der Rosenorden, wurde zerstört in einer einzigen Nacht, und mit ihm das stärkste Verteidigungsmittel des Königreiches.
»Als die Rose fiel«, sagte Darienne wie ein Echo von Averils Gedanken, »wurden diejenigen von uns, die in einem Traum gelebt hatten, wachgerüttelt. Einige hatten Ehemänner oder Söhne verloren, wir alle hatten Verwandte verloren. Aber wir waren immer noch blind.«
»Vielleicht hättet Ihr den Hof verlassen sollen«, sagte Averil, »um zu sehen, was in Wahrheit in der Welt vor sich ging.«
»Das hätten wir«, sagte Mathilde, »aber es war nicht mehr sicher, das Herz des Königreiches zu verlassen.«
»Ihr sitzt in der Falle, nicht wahr?«, sagte Averil.
»Nein«, entgegnete Darienne. »Nicht mehr. Wir haben gelernt zu sehen.« »Habt Ihr es Eure Ehemänner gelehrt? Eure Söhne?«
»Jene, die gelehrt werden können, schon. Die Übrigen werden es irgendwann lernen oder nicht. Es spielt keine Rolle.«
»Es ist Krieg, versteht Ihr?«, sagte Mathilde. Ihre sanfte Stimme ließ die Worte noch unversöhnlicher klingen. »Wir haben auf Euch gewartet, Herrin. Wir haben beobachtet und gelauscht und so viel verstanden, wie wir konnten. Dieser König wird nicht bestehen — und wenn er stirbt, werdet Ihr Königin sein. Dann wird die Welt wieder in die richtigen Bahnen gelenkt.« »So einfach?«, fragte Averil. »Wenn Ihr glaubt, dass es so einfach sein kann, dann habt Ihr nur eine Art von Blindheit gegen eine andere eingetauscht.« »Dann sagt uns, was wir sehen sollen«, sagte Mathilde.
Averil schüttelte den Kopf. »Wenn Ihr nicht im Stande seid, es selbst zu sehen, kann ich Euch nichts zeigen. Ihr seid nicht besser als all die anderen Höflinge, die jedes Wort glauben, das ihr oberster Lehnsherr spricht, und der Wahrheit den Rücken kehren.«
»Ihr sprecht harte Worte«, ergriff eine Dame das Wort, die bislang noch nichts gesagt hatte. Averil wurde allmählich ein wenig geschickter, was die höfischen Spielregeln anging: Sie erinnerte sich an den Namen der Dame, Jehanne, und an den Ehemann, zu dem sie gehörte, ein Graf aus Marais, einem Gebiet, das flussabwärts von der Hauptstadt lag.
»Gräfin«, sagte Averil zu ihr, »die Zeit der sanften Töne ist längst vorbei. Wäre Euch und Euerem Mannsvolk bewusst gewesen, was um Euch herum geschah, wäre es nie dazu gekommen. Aber es ist geschehen, und daran ist nichts zu ändern. Wir können jetzt nur noch eines tun und versuchen, das Schlimmste abzuwenden. Weiß eine von Euch, wo der König sich aufhält, oder was er tut, wenn er fortgeht?«
Die meisten Gesichter waren ratlos. Ein paar schüttelten den Kopf. »Er hüllt sich in einen Zauber«, sagte Darienne. »Oft ist es nur ein Trugbild von ihm, das dem Hofe vorsteht, und nicht er selbst. Wir haben gelernt, den Unterschied zu erkennen, aber er ist klug; sobald wir den Zauber durchdringen, verändert er ihn. Wir haben ihn bisher nicht aufspüren können oder herausgefunden, was er tut, obwohl wir es nur allzu leicht erraten können. In welches Glas wir auch blicken, um die Wahrheit herauszufinden, welche Art von Magie wir auch anwenden, wir sehen nichts als Dunkelheit.« Die Luft in der Halle wurde merkwürdig kalt. Averil stemmte sich der Kälte mit lodernder Hitze entgegen. »Verschließt Euch nicht gegen mich! Ihr wisst, dass Ihr blind seid — das ist ein Anfang. Aber die vertrauten Wege führten zu nichts. Wir müssen uns ändern, andernfalls werden wir den Tod oder Schlimmeres erleiden.«
»Wenn das wahr wäre«, sagte Jehanne, »wären wir dann nicht längst schon tot? Warum sind wir immer noch am Leben und in Sicherheit, wenn wir zerstört werden sollen?«
»Die Schlange verschlingt nur lebende Beute«, erklärte Averil.
Sie hatte die meisten von ihnen in Angst und Schrecken versetzt. Ein paar, darunter auch ihre drei Führerinnen, schienen weniger erschüttert, sondern eher … erfreut?
Also waren doch nicht alle so blind, wie
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