Das magische Land 2 - Das Amulett der Schlange
sich auf eine Befragung gefasst. Aber nach jenen ersten Blicken, ob sie nun neugierig oder argwöhnisch gewesen waren, schien man sie vergessen zu haben.
Die Sängerin gesellte sich zu den anderen. Die Lautenspielerin fuhr fort und stimmte eine anspruchsvolle Melodie an.
Der Kreis teilte sich auf in kleinere Kreise. Leises Gemurmel stieg zur Kuppel auf. Die Gesprächsfetzen, die Averil mitbekam, wirkten recht harmlos: ein bisschen Klatsch und Tratsch, Fragen nach dem Befinden von Ehemännern und Kindern, alltägliche Belanglosigkeiten, die in dieser wunderbaren Halle seltsam exotisch anmuteten.
Averils Führerinnen hatten sie sich selbst überlassen. Nach einem flüchtigen Gefühl der Verstimmung besann sie sich auf ihre Ausbildung: Sie wusste, was sie zu tun hatte. Sie nahm Geist und Charme und die wenige höfische Raffinesse, die sie mittlerweile erworben hatte, zusammen, und begann den Reigen, den man von ihr erwartete.
Kapitel 7
Unter ihnen war es nicht so schwierig, eine höfische Dame zu sein. Averil wurde angeleitet, wie sie sich zu bewegen, wie sie zu sprechen und was sie zu sagen hatte. Es war nicht offenkundig, aber all ihre Sinne waren geschärft und aufnahmebereit.
Während sie sich von einem Kreis zum anderen bewegte, folgte sie den Zeichen: das Hochziehen einer Braue, das Neigen eines Kopfes, der Tonfall eines Wortes. Jedes Gesicht hatte einen Namen, und jeder Name gehörte zu einem großen Herrscher des Reiches, so wie die Frau, die diesen Namen trug.
Dies waren keine Leibeigenen ihrer Ehemänner. An diesem Ort war Macht, die nicht allein auf Magie beruhte. Während die Männer im Rat des Königs zusammenkamen, trafen sich ihre Frauen mit weitaus weniger Trara. »Wenn es eine Königin gäbe«, sagte Averil zu Darienne, »würde sie hier sein, nicht wahr?«
Genau in diesem Moment befand sie sich zwischen den Kreisen. Erschrocken hielt sie inne, als ihr die Einsicht dämmerte.
»Die Königin ist hier.«
»Ich bin nicht die Königin«, erwiderte Averil. Darienne zog die Schulter hoch, was mehr sagte als tausend Worte.
Averil schüttelte den Kopf. »Mein Onkel könnte immer noch heiraten. Er umging das Gesetz, länger als ich hoffen konnte, aber selbst er muss sich Gedanken darüber gemacht haben, was geschieht, wenn ich mein Erbe antrete.«
»Vielleicht«, sagte Darienne. »Vielleicht glaubt er, dass er ewig lebt und somit niemals einen Thronfolger brauchen wird.«
»Kein Mensch kann ewig leben.«
»Manche würden sagen, dass er kein Mensch ist.«
Averil erschauerte. Dariennes Worte beschworen Visionen herauf, auf die sie lieber verzichtet hätte. »Er ist immer noch ein Mensch. Vielleicht nicht mehr lange, aber noch ist er nicht unsterblich.«
»Noch nicht«, sagte Darienne.
Averil wurde ruhig in ihrem Inneren. »Wollt Ihr damit sagen, dass jemand etwas dagegen tun sollte?« »Meint Ihr das auch?«
»Ich habe mehr getan als die meisten«, sagte Averil. »Aber nicht genug.« »Kann überhaupt irgendetwas genug sein?«
»Wir sind hier«, sagte Darienne, »um diese Frage zu beantworten. Nicht heute und morgen wahrscheinlich auch nicht, aber was wir tun können, aus uns selbst heraus oder mit Hilfe unserer Verwandten, das werden wir tun.« Averil hielt inne. Sie konnte sagen, was sie dachte, oder sie konnte ihre Gedanken für sich behalten, bis sie in ihrem Inneren verfaulten, was in dieser Versammlung von Fremden das Sicherste wäre.
Doch hatte sie jemals etwas getan, das vollkommen sicher war? »Wo wart Ihr dann«, fragte sie, »als eine Domäne nach der anderen ihren Herrn verlor? Wo wart Ihr, als die Rose in Lys welk wurde und starb? Was habt Ihr getan, um die Söhne des Reiches davor zu bewahren, ihren freien Willen und ihre Seelen zu verlieren? Von welchem Nutzen wart Ihr, Herzogin, in der Welt, die Euer König geschaffen hat?«
Die Gruppen waren näher gekommen, und aller Augen waren auf sie gerichtet. Die leisen Worte, die sie nur für Darienne bestimmt hatte, hallten in der Halle wider.
Sie weigerte sich, einen Rückzieher zu machen. Von Kindesbeinen an hatte sie auf der Insel gelernt, dass Worte, die es wert waren, ausgesprochen zu werden, es auch wert waren, dass sie vor der ganzen Welt ausgesprochen wurden. Niemand der Anwesenden schien gewillt zu antworten. Gerade als sie sich angewidert abwenden wollte, erhob Richildis ihre Stimme. »Wir waren blind. Der Hof ist wie eine gläserne Kuppel. Wir glauben, dass wir die Welt sehen, aber wir sehen nur unsere eigenen
Weitere Kostenlose Bücher