Das Magische Messer
Sie wagen, sie mir vorzuenthalten?«
Die Macht, die sie über die anderen ausübte, war augenscheinlich. Der goldene Affe funkelte die um den Tisch Versammelten böse an, und niemand brachte es fertig, seinen Blick zu erwidern.
Nur der Kardinal zuckte nicht mit der Wimper. Sein Dæmon, ein Ära, hob einen Fuß und kratzte sich am Kopf.
»Die Hexe hat etwas ganz Außergewöhnliches angedeutet«, sagte der Kardinal. »Ich wage gar nicht zu glauben, was das meiner Meinung nach heißt. Wenn es stimmt, erlegt uns das die schrecklichste Verantwortung auf, die Menschen je getragen haben. Aber ich frage Sie noch einmal, Mrs. Coulter – was wissen Sie über das Kind und den Vater?«
Mrs. Coulter wurde kreidebleich vor Wut.
»Wie könnt Ihr es wagen, mich zu verhören?«, fauchte sie. »Und wie könnt Ihr es wagen, vor mir zu verbergen, was Ihr von der Hexe erfahren habt? Und schließlich: Wie könnt Ihr es wagen anzunehmen, ich würde euch etwas vorenthalten? Glaubt Ihr, ich stehe auf der Seite des Mädchens? Oder etwa auf der Seite seines Vaters? Vielleicht seid Ihr der Ansicht, ich sollte wie die Hexe gefoltert werden. Gut, wir stehen alle unter Eurem Befehl, Euer Exzellenz. Ein Finger schnippen von Euch genügt und ich würde in Stücke gerissen. Aber auch wenn Ihr jeden Fetzen Fleisch von mir nach einer Antwort absuchen würdet, Ihr würdet sie nicht finden, weil ich von dieser Prophezeiung nichts weiß, überhaupt nichts. Und ich verlange, dass ihr mir sagt, was ihr wisst. Lyra ist mein Kind, mein leibliches Kind, empfangen in Sünde und geboren in Schande, aber doch mein Kind, und ich habe alles Recht zu wissen, was Ihr vor mir verbergt!«
»Bitte«, sagte ein anderer Geistlicher nervös, »bitte, Mrs. Coulter. Die Hexe hat noch nichts gesagt, wir werden mehr von ihr erfahren. Kardinal Sturrock sagt selbst, dass sie nur eine vage Anspielung gemacht hat.«
»Und wenn die Hexe nicht verrät, was sie damit gemeint hat?«, sagte Mrs. Coulter. »Was dann? Dann spekulieren wir? Voller Zittern und Zagen?«
»Nein«, sagte Fra Pavel, »denn genau diese Frage werde ich dem Alethiometer stellen. Wir werden die Antwort bekommen, ob von der Hexe oder von den gelehrten Büchern.«
»Und wie lange wird das dauern?«
Er hob müde die Augenbrauen. »Eine beträchtliche Zeit. Die Frage ist ungeheuer komplex.«
»Aber die Hexe könnte uns die Antwort sofort geben«, sagte Mrs. Coulter.
Sie stand auf, und die meisten Männer erhoben sich eben falls, wie aus Ehrerbietung. Nur der Kardinal und Fra Pavel blieben sitzen. Serafina Pekkala trat zurück, eisern darauf konzentriert, nicht gesehen zu werden. Der goldene Affe knirschte mit den Zähnen und sein schimmerndes Fell hatte sich gesträubt.
Mrs. Coulter setzte ihn auf ihre Schulter.
»Gehen wir also und fragen die Hexe«, sagte sie.
Sie wandte sich um und schritt aus dem Zimmer. Die Männer folgten ihr hastig und schoben und drängelten an Serafina Pekkala vorbei, die gerade noch zur Seite treten konnte, ihr Kopf ein schwirrendes Chaos. Als Letzter verließ der Kardinal den Raum.
Serafina wartete, bis sie sich wieder gefasst hatte, denn die Erregung begann sie sichtbar zu machen. Dann folgte sie den Geistlichen durch den Gang in ein kleineres, kahles, weiß getünchtes und überhitztes Zimmer. Dort standen alle um eine entsetzlich zugerichtete Gestalt herum, die in der Mitte des Zimmers an einen stählernen Stuhl gefesselt worden war: eine Hexe mit grauem, schmerzverzerrtem Gesicht und verdrehten und gebrochenen Beinen.
Mrs. Coulter stand über ihr. Serafina blieb an der Tür stehen, denn sie wusste, dass sie nicht mehr lange unsichtbar bleiben konnte; zu sehr brachte sie das, was sie sah, aus der Fassung.
»Sag uns, was du über das Kind weißt, Hexe«, sagte Mrs. Coulter.
»Nein!«
»Dann wirst du leiden.«
»Ich habe genug gelitten.«
»Du wirst noch mehr leiden. Damit haben wir in unserer Kirche seit tausend Jahren Erfahrung. Wir können dein Lei den endlos in die Länge ziehen. Sag uns, was du von dem Kind weißt.« Mrs. Coulter langte mit der Hand hinunter, um der Hexe einen Finger zu brechen. Es gelang ihr ohne Mühe.
Die Hexe schrie auf, und für einen kurzen Augenblick wurde Serafina Pekkala für alle sichtbar, und ein oder zwei Geistliche sahen sie erstaunt und erschrocken an. Dann hatte sie sich wieder in der Hand, und die Männer wandten sich wieder der Folter zu.
»Wenn du nicht antwortest«, sagte Mrs. Coulter gerade, »breche ich dir noch einen
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