Das Magische Messer
zusammen mit Lord Asriel auf Svalbard gefangen. Es könnte sich lohnen, ihn dort zu besuchen und zu fragen. Aber natürlich ist es möglich, dass er seinen Herrn in die andere Welt begleitet hat.«
»Danke. Das ist eine gute Idee … Das werde ich tun. Ich mache mich sofort auf den Weg.«
Sie verabschiedete sich, schwang sich in die hereinbrechende Dunkelheit empor und stieß in den Wolken wieder zu Kaisa.
Serafinas Reise nach Norden wurde durch den Aufruhr in der Welt um sie herum erschwert. Alle Völker der Arktis und nicht nur sie, sondern auch die Tiere reagierten panisch auf den Nebel, die magnetischen Schwankungen, die für diese Jahreszeit ungewöhnlichen Brüche im Eis und die Bewegungen des Bodens. Es war, als würde die im Dauerfrost erstarrte Erde langsam aus ihrem langen Kältetraum erwachen.
Inmitten dieses Umbruchs, in dem unvermutet gespenstisch helle Strahlen aus Wolkenspalten brachen und ebenso schnell wieder verschwanden, in dem Herden von Moschus ochsen plötzlich von dem Drang erfasst wurden, nach Süden zu galoppieren, nur um sofort wieder nach Westen oder Nor den umzuschwenken, und in dem dichte Schwärme von Gänsen in schnatterndes Chaos ausbrachen, weil Magnetfelder, an denen sie vorbeiflogen, sich zuckend hierhin und dorthin verlagerten – inmitten dieses Aufruhrs saß Serafina Pekkala auf ihrer Wolkenkiefer und flog nach Norden, zu dem Haus auf der Landzunge in der Ödnis von Svalbard.
Dort fand sie Lord Asriels Diener Thorold im Kampf mit einer Gruppe von Klippenalpen.
Sie sah Bewegungen, noch bevor sie nahe genug war, um zu erkennen, was geschah: ein Schwirren ledriger Schwingen, ein boshaftes Kreischen, das durch den schneebedeckten Hof hallte, und eine einsame, in Pelze gehüllte Gestalt, die mit einem Gewehr in das Knäuel hineinschoss, neben sich ihren Dæmon, einen hageren Hund, der knurrend hochsprang und schnappte, sobald eine der hässlichen Kreaturen tief genug flog.
Serafina kannte den Mann nicht, aber Klippenalpe waren auch ihre Feinde. Sie hielt in der Luft an und schoss ein Dutzend Pfeile in das Gewimmel. Kreischend und schnatternd stob das Knäuel, der ungeordnete Haufen auseinander, und als die Alpe ihren neuen Gegner sahen, flohen sie planlos. Im nächsten Augenblick war der Himmel wie leer gefegt. Das aufgeregte Kreischen der Alpe war noch als fernes Echo von den Bergen zu hören, dann erstarb es ganz.
Serafina flog in den Hof hinunter und landete auf dem zertrampelten, blutgesprenkelten Schnee. Der Mann schob die Kapuze zurück, die Flinte immer noch misstrauisch in den Händen, denn auch eine Hexe konnte ein Feind sein. Serafina sah, dass er älter war, ein vorspringendes Kinn und graue Haare hatte und Augen, die sie fest anblickten.
»Ich bin eine Freundin von Lyra«, sagte sie. »Hoffentlich können wir miteinander sprechen. Sehen Sie: Ich lege meinen Bogen nieder.«
»Wo ist das Mädchen?«, fragte der Mann.
»In einer anderen Welt. Ich mache mir Sorgen um ihre Sicherheit und muss deshalb wissen, was Lord Asriel tut.«
Der Mann senkte das Gewehr und sagte: »Dann kommen Sie rein. Sehen Sie: Ich lege mein Gewehr nieder.«
Nachdem diese Formalitäten ausgetauscht waren, begaben sie sich hinein. Kaisa hielt am Himmel Wache, während Thorold Kaffee kochte und Serafina ihm erzählte, was sie mit Lyra zu tun hatte.
»Sie hatte schon immer einen eigenen Kopf«, sagte er, als sie im Schein einer Naphthalampe an dem Eichentisch saßen. »Ich habe sie etwa einmal im Jahr gesehen, wenn Seine Lordschaft das College besuchte. Ich mochte sie, man musste sie gern haben. Aber ich weiß nicht, was für eine Rolle sie im größeren Zusammenhang spielt.«
»Was plant Lord Asriel?«
»Glauben Sie im Ernst, er hätte mir das gesagt, Serafina Pekkala? Ich bin sein Diener, mehr nicht. Ich wasche seine Kleider, koche für ihn und führe den Haushalt. Ich habe in den Jahren mit Seiner Lordschaft vielleicht das eine oder andere gehört, aber nur weil ich es zufällig aufgeschnappt habe. Er hätte sich mir genauso wenig anvertraut wie seinem Rasierpinsel.«
»Dann sagen Sie mir, was Sie zufällig aufgeschnappt haben«, beharrte Serafina.
Thorold war zwar schon älter, aber gesund und lebenslustig, und er fühlte sich wie jeder Mann an seiner Stelle durch die Aufmerksamkeit der jungen Hexe und ihre Schönheit geschmeichelt, auch wenn er nicht dumm war und genau wusste, dass ihr Interesse im Grunde nicht ihm galt, sondern dem, was er wusste. Er war ein ehrlicher
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