Das magische Portal - Weltennebel
Vater Taruk kam schon als kleiner Junge auf die Insel. Ich selbst habe ihn in einem Dorf gefunden, als er ersäuft werden sollte.«
Erschrocken sog Darian die Luft ein, aber Lilith fuhr bereits fort: »Er wuchs hier auf und verliebte sich eines Tages in eine der Sumpfnyaden der Insel.«
»Ich dachte, sie töten die Männer?«, fragte Darian verwundert nach.
»Normalerweise schon, und ganz konnten wir dieses Rätsel auch niemals entschlüsseln, aber Taruk und Tenas Mutter muss etwas Besonderes verbunden haben. Ihm zuliebe verzichtete sie darauf, ihn in einen Moorgeist zu verwandeln, und kam sogar gelegentlich zu uns ins Dorf. Allerdings können Sumpfnyaden nicht viel länger als ein paar Tage dem Moor, in dem sie geboren wurden, fernbleiben. Ein unwiderstehlicher Drang treibt sie zurück.« In Gedanken versunken blickte Lilith hinauf in den östlichen Himmel, wo schon der Halbmond aufgegangen war, wenngleich es noch Tag war. »Du musst wissen, Sumpfnyaden können sowohl männliche als auch weibliche Gestalt annehmen und sich daher auch ohne Partner fortpflanzen, aber Tenas Mutter entschied sich, eine Frau zu bleiben, und vielleicht konnte sie deshalb mit Taruk ein Kind zeugen.«
Tenas Geschichte versetzte Darian in Staunen, und die seltsame Faszination für die vielen ungewöhnlichen Wesen Albanys ließ ihn sogar seine Entzugserscheinungen für kurze Zeit vergessen. Gespannt lauschte er Liliths weiteren Ausführungen.
»Nachdem sie alt genug war, lebte Tena die meiste Zeit bei uns im Dorf, denn sie konnte das Moor sehr viel länger verlassen als ihre Mutter, meist sogar für fünf oder sechs Monde.« Nun seufzte Lilith traurig. »Sie war ein so aufgewecktes kleines Mädchen, voller Neugierde und Abenteuerlust, aber das wurde ihr leider zum Verhängnis.«
»Wieso?«
»Tena wollte aufs Festland, wollte sehen, welchen Wesen ihr Vater entstammte, und obwohl wir versuchten, sie davon abzuhalten, ging sie fort, nachdem sie etwa vierzehn Sommer alt war.« Lilith sah Darian an, und er kam nicht umhin zu bemerken, dass ihr Blick ein wenig vorwurfsvoll war. »Hier auf der Insel sind wir alle mit ungewöhnlichen Wesen vertraut – viele von uns sind alles andere als hübsch anzusehen –, aber dort draußen, auf dem Festland, muss Tena schlimme Dinge erlebt haben. Nachdem sie über sechs Monde lang verschwunden war, haben wir uns auf die Suche nach ihr begeben. Wir wussten, dass sie zu ihrem Geburtsort hatte zurückkehren wollen, und da sie dort niemals angekommen war, vermuteten wir, dass ihr etwas zugestoßen war.« Die Gesichtszüge der Nebelhexe wurden hart und bitter, als sie weitersprach. »Einer von uns fand sie, wie sie auf einem Marktplatz ausgestellt wurde, eingepfercht in einen kleinen Käfig. Die Menschen haben sie angestarrt und gequält und dafür auch noch mit Silbermünzen bezahlt.«
»Das ist unmenschlich«, keuchte Darian entsetzt, und nun tat ihm sein Verhalten umso mehr leid.
»Leider ist es im Gegenteil nur allzu menschlich«, meinte Lilith, und Darian wusste, was sie meinte.
»Wir brachten Tena zurück. Sie war vollkommen verstört und kam viele Monde lang nicht aus dem Moor heraus. Dann stand sie eines Tages wieder im Dorf, gekleidet wie ein Mensch, und meinte, sie wolle anderen Mischlingen helfen. Zunächst waren wir skeptisch, aber sie ließ es sich nicht nehmen, immer wieder aufs Festland zurückzukehren. Sie blieb jedes Mal länger fort. Tena redet nicht viel, und was sie auf dem Festland treibt, ist uns bis heute nicht ganz klar. Das Einzige, was uns zu Ohren kam, ist, dass der Mann, der sie in dem Käfig gehalten hat, auf äußerst grausame Weise ums Leben gekommen sein soll.«
»Wer kann ihr das verdenken«, murmelte Darian.
»Nimm dich in Acht vor ihr«, riet Lilith, unnötigerweise, denn Darian hatte nichts anderes vorgehabt.
»Gibt es eigentlich viele Sumpfnyaden auf der Insel?«, fragte er unbehaglich und blickte schaudernd in den nun schon recht dichten Nebel.
Mit einem beruhigenden Lächeln schüttelte die kleine Halbgnomin den Kopf. »Nein, in dem Moor, das ich dir vorhin gezeigt habe, halten sich nur Tenas Mutter und eine weitere sehr alte Nyade auf, von der du nichts zu befürchten hast. Und ganz oben im Norden lebt eine kleine Gruppe.«
»Was ist eigentlich aus Tenas Vater geworden?«, wollte Darian wissen, froh, dass sie in der Zwischenzeit das Dorf wieder erreicht hatten, denn obwohl er die ganze Zeit über abgelenkt gewesen war, kündigten sich schon wieder bohrende
Weitere Kostenlose Bücher