Das Mal der Schlange
dich so aufregst.“
Die Sonne stand direkt über ihnen und brannte unbarmherzig auf sie herunter. Aber Ilaria schien die Hitze nicht zu spüren, als sie mitten auf dem kleinen Platz stehen blieb und sich ungeduldig zu Michele umdrehte. Er nahm seinen Hut ab und fächelte sich damit etwas Luft zu.
„ Und ich verstehe nicht, wie du so ruhig bleiben kannst! Sie zieht unsere Familie ins Lächerliche!“
„ Unsinn!“
„ Wie bezeichnest du es dann, dass sie sich einen Dreck um unsere Regeln schert und einfach das tut, wozu sie Lust hat?“
Er tat so, als würde er überlegen, „Unabhängig?“
„ Nein! Niemand von uns verschwendet seine Zeit mit Sterblichen. Wir jagen sie, wir töten sie, wir nähren uns von ihren Jahren. Aber wir heiraten sie nicht! Wir sind die überlegene Spezies! Wir vermischen uns nicht mit ihnen. Wie kann sie es wagen!“
„ Ilaria“, versuchte er sie zu beruhigen, „Ich bin mir sicher, dass Emmaline nicht vorhatte die Familie zu brüskieren. Sie liebt diesen Soldaten eben, das ist doch eigentlich etwas Schönes - besonders in dieser schrecklichen Zeit, in der es scheint, dass die Menschen jede Menschlichkeit verloren haben. Außerdem lebt sie sowieso nicht in unserer Gemeinschaft. Es wird keine Probleme geben. Zumindest nicht die nächsten zwanzig Jahre. Lass ihr doch das bisschen Glück.“
Sie lief wieder weiter in Richtung der die Piazza begrenzenden Häuser. Michele war froh, als sie endlich in den Schatten einer kleinen Schänke traten.
San Lorenzo war ein heruntergekommenes Viertel. Nur wenige Menschen hielten sich in der Mittagssonne im Freien auf. Über die schmutzigen Gassen waren Wäscheleinen gespannt, an denen verschlissene Kleidungsstücke zum Trocknen hingen und aus einem offenen Fenster war das Schreien eines Babys zu hören.
Ungeduldig verscheuchte Ilaria eine magere Katze, die es sich auf der Türschwelle bequem gemacht hatte und schloss auf. Die Osteria war seit Jahren geschlossen, wie so viele Lokale in San Lorenzo. Niemand in der Familie wusste, dass dies eine von vielen Immobilien war, die Ilaria im Stadtgebiet Roms besaß.
Michele hob fragend die Augenbrauen, als sie nun den Schankraum betraten.
Wenn die dicke Staubschicht auf den Tischen und Stühlen nicht gewesen wäre, hätte man meinen können, der Wirt hätte sich nur kurz zu einer Pause zurückgezogen. Im Regal hinter dem Tresen standen Tonkrüge und Gläser, in einer Vase am Fenster ein Strauß mumifizierter Blumen, sogar eine vergessene Jacke hing an der Garderobe. Die Tür zur Küche stand offen. Töpfe, Schürzen und einen Stapel Teller warteten darauf, dass Leben in das Gasthaus zurückkehrte.
Aber das würde nicht geschehen.
Ilaria hatte Michele um dieses Gespräch gebeten. Sie wollte herausfinden, ob er auf ihrer Seite stand.
Durch einen nicht ganz geschlossenen Fensterladen fiel ein heller Sonnenstrahl in das Halbdunkel des großzügigen Raumes auf Micheles Gesicht.
Von allen Zeitjägern in Rom fand Ilaria ihn am attraktivsten. Er war Sarde und früher einmal zur See gefahren. Aus seinem dunkel gebräunten Gesicht strahlten zwei Augen, so türkis, wie das Meer vor Sardinien und der Flammenkranz darin hatte die Farbe der Gischt, die auf den Wellen tanzt. Das warme Leuchten seiner Haut und der kühle Glanz seiner Augen bildeten einen reizvollen Kontrast.
Nun nahm er seinen Hut ab, legte ihn auf einen Tisch und ließ sich auf einen Holzstuhl fallen, nachdem er die Sitzfläche abgewischt hatte.
Mit einer fahrigen Bewegung strich er sich sein dunkles Haar aus der Stirn bevor er fragte, „Was willst du von mir, Schwester?“
Michele war kein Mann, der um den heißen Brei herum redete. Auch aus diesem Grund gefiel er Ilaria. Es war wichtig, ihn für sich zu gewinnen.
„ Es ist eine Schande, wie Emmaline sich über unsere Gesetze hinwegsetzt.“
„ Sie hat kein Gesetz gebrochen.“
„ Du weißt, was ich meine! Wer ist sie schon? Irgendein Mädchen aus England. Aber anscheinend bekommt sie eine Sonderbehandlung. Nicht einmal Massimo kann sie zur Räson bringen und der ist immerhin Oberhaupt. Gestern Nacht, als er sie zur Rede stellen wollte, hat sie ihn sehr respektlos behandelt, ich habe es mit eigenen Ohren gehört.“
Da Michele nichts sagte, fuhr sie fort, „Und zu allem Überfluss ist dann auch noch dieser Nathaniel aufgetaucht – eine Demütigung für Massimo! Es war unerhört! Dabei wäre es nur gerechtfertigt, wenn Massimo etwas gegen Emmalines Ungehorsam unternehmen würde!
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