Das Mal der Schlange
Emmaline mit offenen Armen willkommen geheißen.
Als Daniele, der noch immer seine Uniform trug, nach oben ging, um sich umzuziehen, holte Eleonora ein altes Fotoalbum hervor.
„ Siehst du, das waren Carlo und ich bei unserer Hochzeit“, sie blätterte das dünne Seidenpapier um, das die Fotografie bedeckte.
Eine zierliche junge Frau mit schwarzem Haar stand neben einem großen, gutaussehenden Mann mit dunklen Locken. Beide blickten ernst in die Kamera, aber das Glück, das aus ihren Augen strahlte, war unübersehbar. Eleonora trug ein helles Spitzenkleid das bis zum Boden reichte. Ärmel und Kragen endeten in steifen Rüschen.
„ Meine Güte, was waren diese Korsetts damals unbequem! Man sah zwar schlank darin aus, aber man konnte kaum atmen, geschweige denn, sich bewegen! Was für ein Glück, dass die Mode sich geändert hat!“
„ Ich weiß“, lachte Emmaline, „Jedes Mal, wenn ich die Treppe zu schnell hoch lief, wäre ich beinahe in Ohnmacht gefallen.“ Sie biss sich erschrocken auf die Zunge.
Eleonora sah sie überrascht an, „Was redest du denn da, mein Kind? Dafür bist du doch viel zu jung! Die Zeit der Korsetts war doch schon lange vorbei, als du geboren wurdest!“
„ Stimmt!“, sagte sie leichthin, „Aber ich musste ziemlich lange ein Stützkorsett tragen - nach einem Sturz vom Pferd. Das hat sich sicher ähnlich angefühlt, stelle ich mir vor.“
Diese Erklärung schien für Eleonora ausreichend zu sein. Wehmütig strich sie mit dem Finger über die verblasste Fotografie, „Du hattest Glück, das Ding nur vorübergehend zu brauchen. Für uns wäre es damals undenkbar gewesen, ohne Korsett aus dem Haus zu gehen. Aber das waren andere Zeiten.“, sie seufzte, „So lange ist es her, und doch scheint es mir wie gestern, dass auch ich jung und schön war. Neunzehnhundert.“
„ Was?“, Emmaline zuckte zusammen.
„ Neunzehnhundert – das Jahr in dem wir geheiratet haben. Im Herbst. Am elften November neunzehnhundert. Es war der schönste Tag meines Lebens!“, gedankenverloren klappte sie das Album zu, nicht bemerkend, dass alle Farbe aus Emmalines Gesicht gewichen war. Als sie mit zitternden Händen einen Schluck Wasser trank, fragte Eleonora sie besorgt, „Ist dir nicht gut, Liebes? Du siehst aus, als ob du einen Geist gesehen hättest?“
„ Nein, nein. Es ist alles gut, mir ist nur plötzlich etwas schwindlig, ich gehe mal eben hinaus an die Luft.“
Draußen auf der Veranda stützte sie die Hände auf das hölzerne weiße Geländer und atmete tief durch.
Was hatte sie getan?
Massimo, in seiner überheblichen Art, hatte vollkommen Recht! Es war unnatürlich, einen Mann zu heiraten, der sich unter normalen Umständen niemals für sie interessiert hätte! Sie war achtundsechzig Jahre alt! Mein Gott, sie war sogar ein Jahr älter als Danieles Großmutter!
Übelkeit stieg in ihr auf und Wut über ihr egoistisches Handeln. Die Tatsache, dass sie ihn von ganzem Herzen liebte war keine Entschuldigung für die Ungeheuerlichkeit, die sie begangen hatte. Die ganze Zeit über hatte sie die Stimme ihres Gewissens unterdrückt, aber Eleonora hatte ihr unbewusst vor Augen geführt, was sie hätte sein sollen. Eine Großmutter, deren Jugend seit Jahrzehnten verblüht war.
Ärgerlich wischte sie sich die Tränen aus den Augen.
Kinder und Enkelkinder, eine Familie - diese Träume waren an dem Tag gestorben, an dem sie Jacob getötet hatte.
Sie war einen anderen Weg gegangen, freiwillig, und nun stand sie hier, für immer jung, für immer fünfundzwanzig.
Bei ihrer Hochzeit hatte sie angegeben, erst neunzehn zu sein, diese Lüge würde ihr ein paar zusätzliche wertvolle Jahre mit Daniele schenken, bevor ihm auffallen würde, dass sie jung blieb, während er älter wurde. Etwas mehr Zeit, bevor sie ihn verlassen musste, ihm das Herz brechen musste, das er ihr geschenkt hatte, in der Hoffnung, gemeinsam mit ihr alt zu werden.
Sie legte den Kopf in den Nacken und sah hinauf in den Himmel, dessen Azurblau gerade in das stumpfe Grau des frühen Abends überging.
Unwillig schüttelte sie den Kopf.
Wenn es an der Zeit wäre, würde sie eine Lösung für alles finden. Aber nun wollte sie ihr Glück genießen und es festhalten, solange sie konnte. Wie bei so vielen Dingen, für die sie sich entschieden hatte, gab es auch hier kein Zurück und das Schicksal würde ohnehin seinen Lauf nehmen.
Sie spürte, wie sich zwei Arme von hinten um ihre Taille legten. Daniele küsste zart ihr Ohr und
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