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Das Marmorne Paradies: METRO 2033-Universum-Roman (German Edition)

Das Marmorne Paradies: METRO 2033-Universum-Roman (German Edition)

Titel: Das Marmorne Paradies: METRO 2033-Universum-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Kusnezow
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Männern hinüber, die ihn beobachteten. »Wollen Sie hierbleiben, Dina?«
    Sie blickte ihn misstrauisch an.
    »Sie werden arbeiten müssen«, fuhr Sergej fort. »Hier arbeiten alle. Aber das ist immer noch besser, als mit der Karawane weiterzuziehen. Bei uns wird Ihnen keiner etwas tun. Ich organisiere Ihnen fürs Erste einen Schlafplatz, und morgen überlegen wir, bei wem Sie wohnen können.«
    Wieder sah Sergej zu den Männern hinüber, die am Tisch saßen. Walentin Walentinowitsch schüttelte den Kopf, der Bankier grinste, Skrynnikow schien die Angelegenheit völlig gleichgültig zu sein.
    Auch egal, dachte Sergej. So ist es richtig.

2
    Heute ist es praktisch unmöglich, die Chronologie der Ereignisse zu rekonstruieren, die schließlich zur Gründung der Gemeinde in ihrer jetzigen Form führten. Zu viel Zeit ist seitdem vergangen, und niemandem stand damals der Sinn danach, ein Tagebuch zu führen.
    Bekannt ist nur so viel, dass sich in jenen schrecklichen Tagen, als das alte Leben unwiderruflich zu Ende ging, zu viele Einwohner der Stadt der Tatsache bewusst waren, dass der geheime, am Stadtrand gelegene »Kasten« mit seinen fünf unterirdischen Stockwerken als Zufluchtsstätte dienen konnte. So viele Menschen hätten nie und nimmer in der Hochschule Platz gehabt.
    Bereits an den weit entfernten Zufahrtswegen zur Hochschule wurde die herandrängende, vor Angst halb wahnsinnige Menschenmenge von Kugeln niedergemäht. Dabei befand sich das hermetische Tor, das Zugang zu dem unterirdischen Bau gewährte, an einer völlig anderen Stelle. Allerdings bestand die Gefahr, dass der Eingang »spontan entdeckt« werden könnte, so die abgeschmackte Formulierung der damaligen Führung.
    Genau aus diesem Grund hatten die Wachen den Befehl
erhalten, scharf zu schießen, und zwar auf jeden, der sich dem Objekt auf mehr als einen halben Kilometer näherte.
    Von denen, die damals an dem Blutbad beteiligt gewesen waren, lebte kaum noch einer, obgleich sich viele junge Soldaten unter den Wachen befunden hatten. Für die wenigen, die nicht gestorben waren und in sich die Kraft gefunden hatten weiterzuleben, war die größte Folter vermutlich der Schlaf. Sie schliefen nur schlecht ein und wachten nachts häufig auf, so dass ihre Körper aufgrund völliger Übermüdung bald verbraucht waren.
    Wie sich herausstellte, kannten nicht allzu viele den Weg zum Eingang der Hochschule. Wer sich jedoch von der richtigen Seite näherte, hatte die Chance, sich in Noahs Arche einzukaufen. Wer bezahlte, fand Einlass. Wie viel ist dir dein Leben wert? Was zahlst du für das Leben deiner geliebten Freundin? Deines Sohns? Wenn du nicht genug hast für alle, wen wählst du aus und wer muss draußen bleiben?
    All jene, die noch die Erzählungen der Großväter aus dem Krieg kannten, packten nichts Persönliches ein. Statt Kleidung und Wertsachen nahmen sie Konserven und Kartoffelsäcke mit, statt Geld Graupen. Man zahlte mit Lebensmitteln. Die Flüchtlinge trugen so viel zusammen, dass die Kolonie in der ersten Zeit keineswegs hungern musste.
    Aber es gab auch noch ein anderes Zahlungsmittel. So erzählte man sich von dem Fall eines erfolgreichen Geschäftsmannes, der einen Koffer ausländischer Währung bei sich trug und erst am Eingang zum Bunker begriff, dass alles Geld in der neuen Welt wertlos geworden war. Ihm blieb nichts anderes übrig, als der Militärführung – fünf kräftigen
Männern – seine bildschöne Frau und seine fünfzehnjährige Tochter zu überlassen.
    Die Tochter kehrte nicht mehr in die Familie zurück, sondern tat sich mit einem der Militärs zusammen. Seine Ehefrau wurde krank und siechte jahrelang dahin, und der Mann selbst verschwand ein Jahr später auf einem Streifzug an der Oberfläche und wurde nie mehr gesehen.
    Die Zahl der Einwohner in der Kolonie hatte in all den Jahren ihrer Existenz stets geschwankt. Manchmal nahm sie ab, da die Leute von Krankheit hingerafft oder von Trauer übermannt wurden; die Männer starben reihenweise bei Expeditionen an die Oberfläche. Dann wieder stieg ihre Zahl plötzlich spürbar: Ganze Familien, die in Kellern oder in der Kanalisation ausgeharrt hatten, trafen ein. Manche hatten sogar das Glück, auf ihrem Fluchtweg durch die Stadt nicht einem einzigen Tier begegnet zu sein, und sie lauschten fassungslos den Geschichten über die verschiedenen Arten von Ungeheuern, die wie Märchenerzählungen anmuteten. Ganz gelegentlich brachten die Karawanen jemanden mit und baten darum, ihn

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