Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Marmorne Paradies: METRO 2033-Universum-Roman (German Edition)

Das Marmorne Paradies: METRO 2033-Universum-Roman (German Edition)

Titel: Das Marmorne Paradies: METRO 2033-Universum-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Kusnezow
Vom Netzwerk:
– die Gestalt war verschwunden.
    Der Halbkreis der sechs Amazonen, die ihre Anführerin bewacht hatten, schloss sich erneut, und in dieser Formation gingen sie hinter ihren Gästen her und ließen sie keine Sekunde aus den Augen.
    Es gab nicht nur eine Reihe Strommasten, die sich bis in die Ferne erstreckte. Wie Sergej bereits angenommen hatte, war ein Teil der Masten zerstört, einige vollständig, andere teilweise. Sie ragten aus dem Schnee wie schmerzhaft gekrümmte Gerippe, als wären es die faulenden Zähne im Mund eines alten Mannes.
    Nicht auf allen unversehrten Masten waren Häuser errichtet worden. Diejenigen, die näher zum Wald hin standen, waren leer. Zwischen ihnen hingen Kabel, auf denen, wie früher die Hühner auf der Stange, einige besonders mutige Angler saßen.
    Die Männer waren verblüfft über die Ausmaße der Bauten. Alle Häuser, die größeren ebenso wie die kleineren, waren aus Baumstämmen gezimmert und ruhten auf einer durchgehenden hölzernen Beplankung, die auf allen Ebenen fest an den Armen des jeweiligen Masts befestigt war. Innen waren die Häuser mit primitiven Steinöfen ausgestattet, die das Zubereiten und Aufwärmen von Speisen ermöglichten. Es gab altes Küchengeschirr sowie Bottiche zum Schneeschmelzen. Die Gefäße für den Schnee hingen an Winden, die außen an den schießschartenartigen Fenstern befestigt waren.
    Der Aufstieg zu einem der Häuser, das Hochklettern über die unbequemen, weit auseinanderliegenden Gittersprossen, war für die Männer und Denis in ihren gewaltigen Monturen zeit- und kraftraubend. Nur Angin schien es nichts auszumachen. Er bewegte sich geschmeidig, atmete ohne Anstrengung, als ob er schon immer hier gelebt hätte und nur zu Besuch in der Kolonie gewesen wäre.
    Die Anführerin bat die Gäste zu sich. Sie verfügte über ein regelrechtes Luxusgemach: Ihr Haus bestand aus einem weitläufigen Raum, der sogar von Tageslicht erhellt wurde. Das Licht drang durch Spalten und Öffnungen in den Wänden und der Decke, die zum Schutz gegen die kalte Luft mit etwas Durchsichtigem abgedeckt waren: Man hätte fast meinen können, es handelte sich um Glas, aber vermutlich war es doch eher die Blase eines Tieres.
    »Der Junge kann hier schlafen.« Die Anführerin zeigte auf eine Ecke. »Da ist es warm und behaglich. Die Männer schlafen im Gästehaus.«
    Max prüfte die Hintergrundstrahlung. Was der Zeiger anzeigte, stellte ihn voll und ganz zufrieden. Er setzte den Helm ab und sagte unwillig: »Wieder runter und woanders wieder rauf?! Wir sind doch keine Affen …«
    »Ohne Papa bleib ich nicht hier«, erklärte Denis fest.
    Die Frau blickte den Jungen nachdenklich an und fragte dann Sergej: »Ist er Ihr leiblicher Sohn?«
    »Leiblicher geht’s nicht«, sagte Sergej.
    Die Anführerin nickte.
    »Ich heiße Wera«, sagte sie. »Ihr bekommt in Kürze etwas zu essen, und ich werde euch in der Zeit ein wenig über unser Dorf erzählen. Danach könnt ihr alles fragen, was euch interessiert. Heute Nacht werdet ihr euch erholen, und morgen können wir uns dann mit frischem Kopf unterhalten. Es gibt etwas zu besprechen.«
    Wie sich herausstellte, hatte sich das Dorf früher einmal auf dem Erdboden befunden. Schon damals hatten sich die Häuser an die untauglich gewordenen Strommasten geschmiegt. Warum auch nicht? Jedes Volk benötigte eine
Art Rückhalt – oder zumindest die Illusion davon. Und die Masten hatten den Einheimischen gute Dienste erwiesen. Da sie immer wieder von den Wolfsratten heimgesucht worden waren, und die heimtückischen Tiere stets Möglichkeiten gefunden hatten, in die Häuser einzudringen, waren die Einwohner irgendwann auf die Masten geflüchtet, wohin ihnen die Kreaturen nicht folgen konnten. Und als die Pterodaktylen oder Angler, wie sie auch genannt wurden, auftauchten, fanden die Einwohner bald heraus, dass es am einfachsten war, sie aus der Höhe zu vertreiben.
    Die gesamte Dorfbevölkerung hatte damals dauerhaft mit Atemschutzmasken gelebt und gearbeitet. Denn auf der Erde war die Hintergrundstrahlung ja nach wie vor hoch. Einmal war einem der Bewohner die Idee gekommen, auf einem der Masten die Strahlung zu überprüfen. Dabei stellte er fest, dass sie geringer wurde, je höher er hinaufkletterte. Daraufhin hatte man den Beschluss gefasst, das Dorf in die Höhe zu verlegen.
    Das zu realisieren erwies sich jedoch als nicht einfach. Zunächst musste eine Technik für die Bodenbeplankung auf den verschiedenen Ebenen ersonnen werden.

Weitere Kostenlose Bücher