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Das Marmorne Paradies: METRO 2033-Universum-Roman (German Edition)

Das Marmorne Paradies: METRO 2033-Universum-Roman (German Edition)

Titel: Das Marmorne Paradies: METRO 2033-Universum-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Kusnezow
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durchbohrte ohne Mühe seine linke Schulter. Er schob die verletzte Schulter nach vorne, hoffte, so den schneidenden Schmerz zu dämpfen, aber vergeblich … Seine Kräfte schwanden, seine Beine gaben nach, aber Sergej riss sich zusammen, keuchend machte er noch einige große Schritte, ohne etwas durch das beschlagene Visier seines Helms sehen zu können. Dann stürzte er zu Boden, ließ seinen Sohn los, rollte zur Seite, um Denis nicht zu erdrücken, und rutschte einen kleinen Abhang hinunter.
    Der Junge sprang überraschend schnell wieder auf, versuchte vorwärtszukommen, verlor aber nach wenigen Metern den Kampf mit dem Schnee, der ihm bis zur Brust reichte. Dennoch bewegte er sich geschmeidig, wich den Wurfspießen und Steinen aus, so viel konnte Sergej noch sehen. Blut rauschte in Sergejs Ohren, er röchelte, und vor seinen Augen schwammen unförmige, blaue Flecken …
    Das Letzte, was Sergej wahrnahm, ehe er das Bewusstsein verlor, war das große, starke Netz, das sich mit einem Ruck aus dem Schnee hob und den Jungen mit einem kleinen Schneewirbel in einen Kokon einhüllte. Einen Kokon, in dem nun ein zehnjähriger Junge verzweifelt um sich schlug und schrie und schließlich in die Höhe gezogen wurde.

6
    Aus dem Nichts tauchten Gerüche, Geräusche und die Empfindung von Wärme auf.
    Er wollte die Augen nicht öffnen.
    In dieser Welt war es ein Luxus, am Leben zu sein. Sergej war am Leben. Er war noch nicht wieder ganz bei Bewusstsein, verstand nicht, wie schlecht es ihm ging. Aber er war am Leben. Das reichte. Halleluja!
    Sergej nahm das heimelige Knistern eines Feuers, die Wärme, die von ihm ausging, deutlich und ungedämpft wahr. So fühlte es sich an, wenn man keinen Helm trug …
    Keinen Helm! Noch immer mit geschlossenen Augen warf er panisch die Arme zur Seite. Und verspürte im selben Augenblick in der linken Hälfte seines Körpers einen fürchterlichen Schmerz. Er schrie auf.
    »Bleib ganz ruhig liegen, beweg dich nicht …!«, sagte eine vertraute Stimme.
    »Bist du das … Max?«
    »Nein, ich bin der Geist von Hamlets Vater. Du kannst deine Augen aufmachen.«
    Sergej öffnete die Augen und sah sich um, während er gleichzeitig bemüht war, sich nicht zu bewegen. Sein Kopf
war auf einen großen Findling gebettet, der fürsorglich mit einem dicken Stück Moos gepolstert war. Sieh mal einer an – so viel Zartgefühl hatte er Max gar nicht zugetraut. Seinen Strahlenschutzanzug und seinen Helm hatte Max ihm ausgezogen und sorgsam zusammengefaltet neben ihn gelegt. Unter dem Pullover fühlte er einen festen Verband an der Schulter.
    Sie befanden sich in einer weitläufigen Höhle. Unter den Füßen spürte er feuchte Erde und Kieselsteine, kleinere und größere. Max saß mit kurzsichtig zusammengekniffenen Augen am Eingang der Höhle und spitzte mit seiner Messerklinge das Ende eines Stocks an. Sergej richtete seinen Blick nach draußen. Es wurde gerade hell.
    »Wie lange sind wir schon hier?«
    »Eine Nacht«, entgegnete Max. In seiner Stimme schwang irgendein merkwürdiger Klang mit.
    »Und … Denis?«
    Max’ Gesichtsmuskeln spannten sich an. Er hörte mit dem Schnitzen auf und sah zur Seite.
    »Haben wir ihn … zurückgelassen?«, fragte Sergej.
    »Du warst verletzt und ohne Bewusstsein«, sagte Max. »Ich wusste nicht mal, ob du noch lebst … Und der Junge war in eine Falle geraten, in dieses Netz. Sie hatten ihn hochgehoben und zerrten ihn auf die Bäume, als wäre er Mogli und sie die Affen … Ich konnte nicht schießen. Ich hatte Angst, ihn vielleicht zu treffen.«
    »Und dass sie den Jungen in Stücke reißen oder bei lebendigem Leib auffressen, davor hattest du keine Angst?«
    Max zuckte zusammen und blieb eine Antwort schuldig.
    »Was machen wir jetzt?«, fragte Sergej.
    »Ich werde ihn suchen.«
    »Und ich?«
    »Du bleibst hier.«
    Meine ganze Welt, dachte Sergej.
    Seine ganze Welt, sein ganzes Leben. Alles war vernichtet worden, zusammengebrochen. Polina war nicht mehr. Gleichzeitig war die Kolonie untergegangen, die über zwanzig Jahre sein Heim gewesen war. Alle Menschen, die er kannte, waren gestorben – seine Freunde und seine Feinde, Sünder und Heilige. Die kleine Lisa war tot. Marat, der sich noch vor kurzem Sorgen gemacht hatte, dass die kleine Kirche von einer Kerze in Brand gesetzt werden könnte, war tot. Alle waren tot. Und jetzt war sein Sohn verschwunden. Wer war noch übrig? Max. Ein Fremder. Er war jetzt also der Mensch, der Sergej am nächsten stand.
    Sein Sohn war

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