Das Marmorne Paradies: METRO 2033-Universum-Roman (German Edition)
fort – was sollte er, Sergej, jetzt tun? Wohin sollte er gehen? Wer brauchte ihn noch?
In die Metro, zu Wosnizyn. Er, ein verwesendes Stück Fleisch mit allmählich absterbenden Sinnen. Warum? Wozu sollte das jetzt noch gut sein? Wozu die Existenz eines so nutzlosen, erbärmlichen Teufels verlängern, der unfähig gewesen war, die beiden Menschen, die er am meisten liebte, zu beschützen?
Du bist jämmerlich, Sergej, sagte er zu sich selbst. Unfähig und jämmerlich. Krepier hier – das ist für dich der beste Ausweg.
Er versuchte, den linken Arm zu bewegen. Es tat weh. Aber er war bereit, den Schmerz zu ertragen. Die physische Qual erschien ihm im Moment geradezu lächerlich
im Vergleich zu den seelischen Leiden, die ihn erwarteten … Es gab keine Garantie, dass er diese überstehen würde.
Während Max im Wald umherirrte und jede Sekunde damit rechnen musste, von den schrecklichen Pygmäen angegriffen zu werden, würde er, Sergej, hier friedlich in der sicheren Höhle am warmen Feuer liegen und seine Wunden lecken. Es war gut möglich, dass Max sich eine Weile halten würde bei dem Versuch, Denis zu befreien – immerhin war er ein Profi. Aber gegen eine Horde Pygmäen hatte er letztlich keine Chance. Denis war verschwunden, Max würde ebenfalls zugrunde gehen … Ja, und allein würde es Sergej niemals bis nach Moskau schaffen. Entweder würde er am Waldrand erfrieren oder ebenfalls den Pygmäen zum Opfer fallen.
Das war der Preis dafür, dass sie versucht hatten, ins Paradies zu kommen. Nun, sie würden ganz sicher dort hingelangen. Nur mussten sie dafür erst noch sterben.
»Erinnerst du dich immer noch nicht, wie du in die Stadt gekommen bist?«, fragte Sergej.
»Warum willst du das jetzt wissen?«
»Interessiert mich einfach.«
»Ach, es interessiert dich einfach … Mit einer Karawane. Viele Probleme lassen sich auf die Weise vermeiden. Wir sind nicht querfeldein durch den Wald und über offenes Land gezogen, sondern außen rum – das ist zwar weiter, aber dafür ungefährlich. An einem bestimmten Punkt haben sich unser Wege dann getrennt, die Karawane kehrte zurück. Jeder hat seinen Weg auf dieser Welt.«
»Und dann?«
»Ich weiß fast nichts mehr … Nur noch Bruchstücke. Vielleicht war es auch nur ein Fiebertraum. Offenbar habe ich die Bekanntschaft von Plorgen und Hummeln gemacht. Und während diese Kreaturen um meinen geschwächten Körper kämpften, gelang es mir abzuhauen.«
»Aber dein Ziel, Max? Deine Mission? Die Aufgabe, der Sinn deiner Reise? Wohin und weshalb?«
»Weiß ich nicht mehr!« Max’ Stimme war schneidend, und Sergej begriff doch augenblicklich, dass er log – dieser Hund. Vielleicht hatte er sich tatsächlich eine Zeit lang nicht erinnert, doch jetzt wusste er es sehr wohl! »Eins ist jedenfalls klar: Wenn Angin und ich nicht gewesen wären, wer weiß, was dann aus Denis und dir geworden wäre, als die Hummeln über die Kolonie herfielen.«
Das spielt keine Rolle mehr, dachte Sergej. In einem Punkt war er sich allerdings sicher: Er würde nicht hier in der Höhle rumsitzen, während Max von den Wilden eingefangen wurde. Wenn sie nach Denis suchen würden, dann nur zu zweit.
»Was hast du gesagt?« Max sah ihn verwundert an.
»Ich sagte, überprüf meine Pistole, bitte … Ich gehe mit dir.«
Ich höre ihre Gedanken.
Denis lag, von den Schultern bis zu den Knöcheln mit starken Seilen gefesselt, mit dem Gesicht nach unten auf einem Steinfußboden. Er konnte sich nicht rühren, und sein Körper war taub und schmerzte.
Den Helm hatten sie ihm abgenommen. Er befand sich an der Seitenwand einer großen, widerhallenden Steingrotte oder einer Höhle. Er fror nicht. Um ihn herum liefen ununterbrochen
stämmige, zerzauste kleine Menschlein. Sie sprachen praktisch nicht miteinander, sondern kommunizierten mit Gesten und verstanden sich dabei offenbar ausgezeichnet. Denis drehte den Kopf so, dass er sie sehen konnte, aber er wusste ihre Gesten nicht zu deuten. Dafür konnte er ihre Gedanken ganz klar und ohne die geringste Anstrengung hören.
Sie waren fast alle hungrig. Die einen redeten auf die anderen ein, das Kind zu essen. Einige wollten es roh, wenn nicht gar lebendig, andere wieder wollten es braten oder kochen. Das Hauptargument war in jedem Fall: Es gibt nichts Schmackhafteres als Kinderfleisch. Nicht einmal der Verzehr der zwei Bogenschützinnen, die sie im Wald getötet und für die Versorgung des Stammes eingeplant hatten, würde ein vergleichbares
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