Das marokkanische Mädchen. Ein Fall für Jacques Ricou
sah mir gar nicht danach aus«, sagte Margaux spitz.
»Sie war für Jacques zu weltläufig. Sie wollte ihn ständig zu Galeriewochenenden nach London und Basel, Berlin und Leipzig mitnehmen, und schätzt auch das Leben in den Sternelokalen. Geld genug hat sie ja«, sagte Martine. »Aber du kennst Jacques doch, dazu ist er zu bodenständig.«
»Och, in gute Lokale geht er schon gern. Eine Zeitlang hat er das anscheinend genossen«, sagte Margaux.
»Wie auch immer«, antwortete Martine. »Er ist alles andere als ein Lifestyle-Richter. Das war gemein von dir. Du weißt genau, dass er immer noch der unerbittliche Kerl ist, der sich geradezu mit Verbissenheit auf Fälle stürzt, in denen er Korruption, Unterschlagung, Steuerbetrug vermutet. Besonders, wenn Große aus der Politik oder der Finanzwelt darin verstrickt sind.«
»Vielleicht ist er weich geworden«, sagte Margaux.
»Ich habe keine Zeit, mit dir über dein Liebesleben zu blödeln«, sagte Martine sachlich. »Jacques hat nie vergessen, dass sogar der Geheimdienst einmal versucht hat, ihn umzubringen. Nur weil seine Untersuchungen dem Präsidenten und dessen Partei gefährlich geworden waren. Das wird er bis zum Ende seines Lebens den Herren an der Macht übel nehmen. Hast du was Konkretes oder war’s das?«
»Okay. Vielleicht war der Artikel heute früh ein Kurzschluss.«
»Ein Kurzschluss?« Martine lachte trocken. »Der war einfach blöd.«
»Meinetwegen«, sagte Margaux. »Ich wollte was von dir wissen. Hat es Sinn, dass ich Jacques nach dem Mädchen frage, das heute Mittag den Mordanschlag überlebt hat?«
Martine schwieg einen Moment überrascht.
»Oder kannst du mir was dazu sagen?«, schob Margaux nach.
»Zu dem Fall kann ich gar nichts sagen. Der ist ja gerade mal einige Stunden alt«, sagte Martine.
»Ein Paparazzo bietet Bilder und die Geschichte an«, erklärte Margaux.
»Ach, schreibst du jetzt nicht mehr die großen politischen Reportagen, sondern bist zur Paparazzi-Reporterin degradiert worden?«, fragte Martine.
»Billige Retourkutsche!«, sagte Margaux.
»An deiner Stelle würde ich Jacques deshalb nicht anrufen. Außerdem verbietet das Persönlichkeitsrecht, Bilder von Kindern abzudrucken. Das sage ich ganz offiziell als Mitarbeiterin der Gerichtsbehörde. Aber ich werde Jacques von deinem Anruf berichten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er zurückruft. Der ist so was von sauer.«
Und zwar zu Recht, dachte Martine, nachdem sie aufgehängt hatte. Aber dann klingelte schon wieder ein Telefon. Ihr Handy. Ob es heute Abend bei der Verabredung zum Squash bleibe, fragte der Anrufer. Ja, sie hoffe es. Sie hoffte es wirklich. Denn sie fand den neuen Squashpartner interessant. Nicht nur wegen seiner sportlichen Figur.
Monsieur
M onsieur hatte seine Nachrichten-App so eingestellt, dass jede Meldung über den Mord an den Corot-Teichen sofort auf seinem Smartphone aufpoppte.
»Massenmörder übersieht Zeugin!«
Das war die Überschrift der Meldung, wonach ein kleines Mädchen die Ermordung von vier Personen unentdeckt überlebt hat.
Der sonst so gelassene Monsieur wurde nervös.
Gao Qiu hatte noch keine SMS mit seiner neuen Telefonnummer geschickt. Aber jetzt musste schnell gehandelt werden, bevor jemand auf die Idee käme, besonderen Schutz für das Mädchen anzuordnen.
Monsieur malte sich aus, was nun mit dem Mädchen geschehen würde. Zuerst würde es in einem Krankenhaus medizinisch untersucht und dann psychologisch betreut werden. Wo, das wäre schnell herauszufinden. Es müsste ja eine Klinik mit einer besonderen Abteilung für Kinderpsychologie sein. Und da bot sich nur das Hôpital Necker in der Rue de Sèvres an. Necker war Frankreichs ganzer Stolz. Es war das älteste auf Kinder spezialisierte Krankenhaus der Welt, Anfang des 19 . Jahrhunderts gegründet, heute Universitäts- und Vorzeigeklinik.
In den nächsten zwei oder drei Stunden würde Gao Qiu dieses Problem noch leicht lösen können. Mit jeder Stunde würde es schwieriger. Wenn die Polizeimaschine erst einmal ans Laufen käme, wäre sie nur schwer zu stoppen.
Also galt es, schnell zu handeln.
Monsieur wählte eine Nummer, die er, so war es von ihm verlangt worden, auswendig gelernt hatte. Er sagte sein Codewort vom zehntausendfachen Glück, gab seine Nummer durch und wartete auf einen Rückruf.
Nervös schaute er auf seine Uhr.
Genau nach sieben Minuten rief der Drachenmeister des 14 K von Belleville an. Wie geht’s? Monsieur hielt sich kurz, nachdem er
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