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Das marokkanische Mädchen. Ein Fall für Jacques Ricou

Das marokkanische Mädchen. Ein Fall für Jacques Ricou

Titel: Das marokkanische Mädchen. Ein Fall für Jacques Ricou Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Wickert
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an.
    Als er das erste Mal mit ihr zusammenarbeiten musste, hatte ihn sogar die Gerichtspräsidentin Marie Gastaud bemitleidet. Die lacht wie eine Henne, sieht aus wie ein Mops und gräbt wie ein Dackel. Die scheinbar humorlos grimmige Françoise entpuppte sich aber als eine selten begabte Finanzexpertin und verblüffte Jacques damit, dass sie an einem Sonntagnachmittag als Jazzsängerin in der Kirche Saint-Merri auftrat.
    »Wo hast du das her?«, fragte Françoise.
    »Ein Corbeau hat es mir geschickt.«
    »Ein Corbeau, schau an. Woher kommt eigentlich dieser französische Hang zum Denunziantentum?«
    »Wenn der Corbeau krächzt, das weiß jeder Landsmann, dann will irgendein schräger Vogel Geheimnisse verpfeifen, ohne selbst in Erscheinung zu treten. Der Corbeau ist nicht nur ein Rabe, über dessen Eitelkeit sich schon der Dichter Jean de La Fontaine lustig gemacht hat, sondern er ist auch, als anonymer Denunziant, ein widerlicher Bestandteil des täglichen Lebens in Frankreich«, sagte Jacques. »Ich weiß nichts Genaues! Ist mir aber auch gleich. Hauptsache wir kommen weiter. Erkennst du jemanden auf dem Foto?«
    »Nein. Aber du könntest doch mal deine Freundin Margaux fragen. Die kennt sich doch in der feinen Gesellschaft aus.«
    »Feine Gesellschaft?«
    »Schau dir doch das Bild an, Jacques. Genf. Privatbank. Der eine trägt ’ne Rolex am Arm.«
    »Mohammed Arfi soll mit Alexandre Dati und mit Georges Hariri im Geschäft gewesen sein. Dati ist das nicht. Ich habe mir eben Fotos von ihm im Netz angesehen. Es könnte Hariri sein, von dem gibt es aber keine Fotos. Zumindest habe ich in der Eile keine gefunden.«
    »Hariri, der Schattenmann«, sagte Françoise. »Gegen den haben wir mal einen Prozess geführt, weil er in Frankreich keine Steuern bezahlt. Er ist aber nie persönlich erschienen.«
    »Wer hat ihn vertreten?«
    »Philippe Tessier. Es gibt keinen besseren Anwalt in Steuerfragen«, sagte Françoise.
    »Und wie ist es ausgegangen?«
    »Er hat leider gewonnen. Raffinierter Kerl.«
    »Okay! Kannst du mit den Kontoauszügen was anfangen?«
    »Mal sehen. Gib mir bis morgen Zeit, Jacques. Ich knabbere gerade noch an einem anderen Fall rum.«

Der verdächtige Schwager
    » D u kannst doch nicht in ein Starbucks gehen, wenn drei Meter weiter ein nettes französisches Bistro offen hat«, sagte Jean Mahon dem ihn begleitenden jungen Polizisten.
    »Aber bei Starbucks kann ich den Kaffee mitnehmen.«
    »Statt des Kaffeebechers sollten wir uns die Zeit für eine zivilisierte Tasse nehmen. Wir trinken im Bistro unseren Kaffee – stehend an der Theke. Wie unsere Väter und Großväter.«
    Der Polizist überlegte, ob er dem Altvorderen Widerworte geben sollte, schwieg dann aber doch aus Vorsicht vor der Laune seines Chefs. Dessen Marotte, sich mit aller Macht gegen das Aussterben der Bistros einzusetzen, nahm manchmal schon peinliche Züge an. Und von wegen Aussterben, es gab noch Bistros zuhauf, nur brachte die schnelllebige neue Zeit eben andere Gewohnheiten mit sich. Wie eben den Pappbecher.
    Das Bistro lag in der Rue des Petits Carreaux genau neben der Einfahrt zu den Hinterhöfen, in denen sich die Lederjackenproduktion von Mohammed Arfi befand.
    Die beiden Polizisten verliefen sich mehrere Male, bis sie die richtige Treppe gefunden hatten, die zu dem Atelier führte, in dem die Jacken der Marke »Antoine Delon« genäht wurden.
    Ein elegant gestaltetes Schild auf einer frisch gestrichenen Eisentür verwies auf die Modemarke. Die Tür war verschlossen. Erst nach dem dritten Klingeln öffnete eine junge Frau die Tür einen Spalt weit und schaute sie fragend an.
    Kommissar Jean Mahon stellte sich besonders höflich vor und bat, den Geschäftsführer sprechen zu dürfen. Die Frau zuckte mit den Schultern, so, als verstehe sie ihn nicht, zögerte einen Moment und öffnete die schwere Tür dann ganz.
    In dem hellen, großen Atelier saßen dreißig Frauen und einige Männer an Nähmaschinen. Es roch nach frischem Leder.
    Sie zeigte auf eine Tür am Ende des Raumes. In genau so feinen Lettern wie an der Eisentür stand dort auf einem Schild in Augenhöhe: Geschäftsführung, Mohammed Arfi. Wieder klopfte Jean Mahon höflich und trat ein, als »Was is’?«, gebrüllt wurde.
    An einem Konferenztisch saß Antoine Delon mit einem Mann, der neben sich ein halbes Dutzend Aktenordner aufgereiht hatte und auf einem Block mit Bleistift endlose Zahlenreihen notierte.
    Ein moderner Designer schien das Büro gestaltet zu haben.

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