Das marokkanische Mädchen. Ein Fall für Jacques Ricou
aus Südafrika, Medwedew aus Russland in »La Petite Maison« in Nizza geschleppt.
Nicoles Ruhm war inzwischen weit über die Côte d’Azur hinausgedrungen. Restaurateure in London, Dubai und Beirut, in Cannes und nun auch in dem »Fouquet’s« in Paris hatten ihre Lizenz gekauft. Die bestand aus nichts anderem, als aus ihrem Kochbuch mit provenzalischen Gerichten und machte sie reich.
Während Margaux sich setzte, eilte Nicole wieder an die Tür, um Jacques zu begrüßen. Zwei Wangenküsse. Und dann sagte sie laut genug, dass auch Margaux, falls sie die Ohren spitzte, es hören könnte: »Gestern wärst du hier auf Mara getroffen. Schade. Sie sah gut aus.«
Auch mit Mara hatte Jacques im vergangenen Sommer häufig in der »Petite Maison« in Nizza gegessen. Mara hatte Jacques im letzten Sommer kennengelernt, als sie ihn darum bat, ihren verschwundenen Onkel zu finden. Sie fürchtete, er befinde sich in den Händen der russischen Mafia. Das Gegenteil war der Fall. Der Onkel war Teil der georgischen Mafia. Es war ein dramatischer Fall, bei dem Margaux’ Cousine Gina ermordet und Margaux selbst fast Opfer der Georgier geworden war.
Aber Mara war vorbei.
Warum das so war, das ging niemanden etwas an.
Auch Jacques war allein gekommen. Eine Viertelstunde vom Palais de Justice mit der Metro, erzählte er Nicole.
Als sie ihn zum Tisch führte, überlegte er, wie er Margaux begrüßen sollte. Doch Margaux nahm ihm die Entscheidung ab. Sie gab ihm freundschaftlich zwei Wangenküsse.
»Schön, dich zu sehen, Jacques. Wolltest du nicht mit Jean kommen?«
»Der kommt von einem Termin direkt hierher.« Und nach leichtem Zögern fügte er hinzu: »Gut siehst du aus. Warst du im Urlaub?«
»Nein, das sieht nur so aus. Ich war zu einer Reportage bei unseren Truppen in Mali.«
»Habe ich gelesen.«
Es war belanglos, worüber sie redeten. Bloß nichts Persönliches ansprechen.
Jacques’ Telefon klingelte. Der Name Jérôme blinkte auf. Mit dem Arzt von Belleville dauerte jedes Gespräch mindestens eine Viertelstunde. Wahrscheinlich wollte er sich für den Abend verabreden oder hatte etwas über seinen Freund aus dem Krankenhaus in Tours herausgefunden. Das könnte warten. Jacques schaltete das Gerät aus.
Nicole schickte zwei Gläser Champagner an ihren Tisch und ließ gleich ein drittes Glas folgen, als sich Kommissar Jean Mahon zu ihnen setzte.
Kein Platz im Lokal war mehr frei.
Jacques sah an einem Tisch im Rücken von Margaux zwei Männer.
Einer nickte ihm zu.
Er grüßte mit einer leichten Kopfbewegung zurück. Senator Louis de Mangeville. Alter Burgunder Adel, dessen Vorväter schon mit Philippe le Bel gegen Flandern gekämpft hatten. Ein alter Flirt von Margaux. Die andere Person, die gepflegt und elegant gekleidet wirkte, kannte er nicht. Der Herr nickte ihm auch zu. Jacques reagierte höflich, aber distanziert.
Jean bestellte eine Bouillabaisse, Margaux Langustenschwänze, Jacques eine gegrillte Dorade. Nicole goss ihnen einen trockenen Rosé ein, obwohl sie keinen Wein trinken wollten. Aber Nicole widerspricht man nicht, wenn sie sich großzügig zeigt.
Jean berichtete von Ibrahim, der kurz nach dem Mord nach Marrakesch abgeflogen war.
»Zeitlich hätte Ibrahim das ohne weiteres schaffen können«, sagte der Kommissar. »Um Viertel nach neun war die Tat schon vollbracht. Nehmen wir mal an, Ibrahim hat diesen weißen Porsche Cayenne gefahren, von dem der englische Radfahrer berichtet hat, dann wäre er spätestens zweieinhalb Stunden vor Abflug in Orly gewesen. Zeit genug, um einen Leihwagen abzugeben und gemütlich einzuchecken.«
»Margaux, nun erzähl du doch mal: Was weißt du über Mohammed?«, fragte Jacques, »und über Ibrahim?«
Margaux holte aus ihrer Handtasche ein kleines Notizbuch, schlug es an der Stelle auf, wo ein Lesebändchen drin lag, und berichtete in kurzen und knappen Worten.
Mohammed gehörte als Jugendlicher zu einer Bande in seiner Banlieue, die sich anfangs mit Kleinkriminalität finanzierte. Schon als Vierzehnjähriger legte er großen Wert auf starke Muskeln, trainierte regelmäßig, nahm Steroide und Aufbaupräparate. Chef der Bande war Iskandar Dati, zehn Jahre älter als Mohammed und ein Mann von großem Geltungsbedürfnis.
»Dati? Alexandre Dati?«, fragte Kommissar Jean Mahon.
»Ja, der Dati.«
»Der war schon als junger Kerl gefährlich«, erinnerte sich Jean Mahon. »Seine Gang war damals für den Tod eines Jungen verantwortlich. Aber man konnte es ihm nicht
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