Das marokkanische Mädchen. Ein Fall für Jacques Ricou
raus. In der ganzen Station haben sie dann die Karte des Arztes gesucht, sie aber nicht gefunden. Fabienne hat es mir eben gemeldet, weil sie sagt, man kann nie wissen … Und auch mir kommt das merkwürdig vor. Ob da jemand die Karte weitergeben will, um jemand anderem den Zutritt zu verschaffen? Ich schicke noch zwei Mann hin.«
»Das ist gut so. Ich hatte doch gleich eine Ahnung, als ich dich gewarnt habe. Wenn drei Leute per Genickschuss umgebracht werden, steckt dahinter entweder ein Verrückter oder ein Berufskiller. Beide werden versuchen, die kleine Zeugin zu beseitigen. Brauchst du mich?«
»Nein. Ich wollte dich nur informieren, falls du noch weitergehende Wünsche hast.«
»Wie in etwa?«
»Na ja, wir können das Mädchen auch ins Val-de-Grâce verlegen. Das liegt um die Ecke.«
»Nee, doch nicht ins Militärkrankenhaus!«
»Da wäre sie hundertprozentig sicher!«
»Was macht das Mädchen denn jetzt?«
»Schläft. Hat ein Mittel bekommen.«
Jacques bat um einen Moment Geduld und erklärte Jérôme, worum es ging.
»Ins Militärkrankenhaus verlegen? Bloß nicht! Das wäre ein neuer Schock.«
»Lass sie schlafen«, sagte Jacques. »Ich vermute, du hast schon die richtigen Sachen veranlasst. Stell zur Abschreckung noch einen Streifenwagen vor den Eingang.«
Schock beim Café au lait
» I ch habe keine Zeit«, sagte Jacques unfreundlich, »ich habe jetzt keine Zeit, und ich habe heute Mittag keine Zeit und heute Abend keine Zeit.«
»Wie du meinst«, sagte Margaux, »aber ich kann dir viel über Mohammed Arfi erzählen. So gehört er …«
»Er gehörte, wenn schon.«
»Wie du willst: Also er gehörte zu den engen Freunden von zwei zwielichtigen Figuren. Aus seiner Zeit als Bandenmitglied in der Banlieue von Gennevilliers ist er … war er mit Alexandre Dati verbandelt.«
»
Dem
Dati? Dem Multimillionär und Spezialisten für schmutzige Geschäfte?«
»Und Freund der Politik!
Dem
Dati. Aber es wird noch besser. Gleichzeitig hatte er eine enge Beziehung zu Georges Hariri, dem Schattenmann und Handlanger zumindest des ehemaligen Innenministers Ronsard.«
»Woher weißt du das?«
»Wir haben die ganze Nacht recherchiert. Und das meiste haben wir in dem einen oder andern Club erfahren. Und Jean-Marc, du kennst unseren Chefredakteur …?«
»Der Gitanes-Raucher!«
»Ja, der mit den gelben Zähnen. Jean-Marc kennt Ronsard aus alten Zeiten und hat ihn einfach angerufen. Ronsard war nicht begeistert, hat aber auch nichts geleugnet. Er kennt Dati, er kennt Hariri und er kennt auch Mohammed. Er nannte ihn ›den Handlanger‹.«
»Schau an. Louis de Ronsard.«
Wär’ schön, den dranzukriegen, dachte Jacques. Dieses Ekelpaket!
Margaux schwieg. Sie schaute scheinbar unbeteiligt auf das frühe Treiben in der Rue de Belleville. Ihr Blick kreuzte sich mit den Augen von Bistrowirt Gaston, der wie zufällig an der Tür von »Aux Folies« stand. Sie zwinkerte ihm zu. Er reagierte nicht. Jacques hätte es sehen können.
»Wie hart sind deine Fakten?«
»Hast du meine Geschichte heute früh gelesen? Nichts von dem Mädchen steht drin.«
»Ja, aber was du über Mohammeds Beziehung zum Sohn Delon schreibst, klingt abenteuerlich. Und dann die Schlagzeile: Rache an Delon! Das habt ihr wieder mal so gedreht, dass der Leser erst einmal denkt, es handle sich um Alain Delon.«
»Der Sohn heißt auch Delon.«
»Wie auch immer. Ich habe wirklich keine Zeit. Heute Mittag gehe ich zu Nicole, sie hat mich extra angerufen und in ihr neues Restaurant in Paris eingeladen. Und ich nehme Jean mit.«
»Den Kommissar! Das passt doch. Dann kann ich euch beiden zusammen alles erzählen. Dann machen wir daraus ein Arbeitsessen, meine Zeitung übernimmt die Spesen! Und keiner, der uns sieht, wird sich was dabei denken.«
»Um eins in der ›Petite Maison‹ im ›Fouquet’s‹. Sei ausnahmsweise pünktlich. Ich habe nur eine knappe Stunde Zeit.«
Margaux stand auf, gab ihm weder eine Bise noch die Hand, nickte nur leicht, ging zu Gaston, hielt ihm die linke und die rechte Wange hin und lief mit schnellen Schritten die Rue de Belleville hinab zur Metrostation.
Jacques sammelte seine Zeitungen zusammen. Er blickte zu Gaston, und als er dessen Blick auf sich gerichtet sah, hob er die rechte Hand und rieb den Daumen auf dem zweiten Glied seines Zeigefingers. Zahlen, bitte. Ein internationales Zeichen.
»Was war das?«, fragte Gaston und trat an den Tisch von Jacques. Er hatte gesehen, wie Margaux die Straße
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