Das marokkanische Mädchen. Ein Fall für Jacques Ricou
gefeuert.
Und war nicht der neue Staatspräsident François Hollande mit Valérie Trierweiler auch einer Journalistin von
Paris-Match
aufgesessen?
Jacques legte sich auf seine Couch und las den ganzen Abend lang das Buch eines Journalisten über die Amazonen der Republik. Mit Amazonen waren Journalistinnen gemeint. Als er es nach der letzten Seite zuschlug, schüttelte er den Kopf und goss sich den Rest aus seiner Rotweinflasche ein.
Françoise Giroud, die Mitgründerin des Wochenmagazins
L’Express
und überzeugte Feministin, hatte schon vor vierzig Jahren ganz bewusst junge, schöne Journalistinnen angestellt, um sie auf Politiker anzusetzen.
Voraussetzung: Minirockfigur.
Motto: Auf dem Kopfkissen erfahrt ihr alles.
Zu diesen Amazonen gehörte auch Michèle Cotta, die unverblümt zugab, viele politische Geheimnisse erfahren zu haben, wenn sie ihren weiblichen Charme spielen ließ. Sie hatte unter anderem eine Affäre mit dem jungen Jacques Chirac und später eine mit Staatspräsident François Mitterrand. Und Michèle Cotta brachte es so weit, dass sie im Präsidentschaftswahlkampf 1988 das Fernsehduell zwischen Präsident Mitterrand und seinem Herausforderer Chirac, also zwischen ihrem augenblicklichen und ihrem ehemaligen Liebhaber, moderierte.
Ob vielleicht auch Margaux auf ihn, Jacques, angesetzt worden war?
Nein, das konnte er sich nicht vorstellen. Er war doch nur ein kleiner, weitgehend unbedeutender Untersuchungsrichter, als er Margaux kennen- und lieben gelernt hatte. Na gut, er hatte damals schon den einen oder anderen aufregenden Fall gehabt, aber er war noch nicht so berühmt-berüchtigt wie heute.
Jacques trat an das große Fenster seines Wohnzimmers und genoss den Blick über das nächtliche Paris. Er schaute in die vor ihm liegende Rue de Belleville. Sollte er noch ein letztes Glas im Bistro »Aux Folies« trinken? Heute nicht. Er würde ins Bett gehen.
Das Telefon klingelte. Halb zwölf. Ob etwas passiert war?
Margaux.
»Was ist?«
Margaux sprach vor Aufregung schnell und undeutlich. Vielleicht hatte sie auch einen Schluck Wein zu viel intus. Sie komme gerade von dem Abendessen mit Dati. Ein äußerst zivilisierter Mann übrigens. Er begrüße sie immer mit einem Handkuss. Es sei hoch interessant, was sie von Dati über Mohammed erfahren habe. Jacques sei doch sicher noch wach. Ob sie eben vorbeikommen solle? Sie könnten sich auch im »Aux Folies« treffen.
Nein, Jacques hatte keine Lust. So wichtig wird es nun auch wieder nicht sein.
»Lass uns morgen treffen, Margaux. Allerdings geht’s bei mir erst etwas später, weil ich tagsüber bei Michel bin, der will unbedingt nach Australien auswandern, und das will ich ihm ausreden.«
Der Maler Michel Faublée, sein guter Freund, hatte früher eine alte Druckerei im Boulevard de Belleville als Atelier und Wohnung genutzt. Aber dann kaufte er billig ein ehemaliges Bananenreifehaus im Vorort Bezons. Michel nannte dieses neue riesige Atelierhaus, in dem er mit Frau und Kind wohnte und das einmal sein Museum werden sollte, zweideutig la Mûrisserie. Da reift die Kunst wie eine Banane.
Wenn Jacques ihn besuchte, klagte Michel stets über den verkorksten Kunstbetrieb in Frankreich, der vom Kulturminister und seinen Günstlingen bestimmt werde. Er wollte deshalb auswandern. Nach Australien, wo er zwar noch nie gewesen war, aber wo Verwandte seiner Frau lebten.
»Der ist doch verrückt. Michel müsste doch inzwischen über siebzig sein!«
»Eben! Und deshalb muss ich es ihm ausreden.«
»Wann hast du dann morgen Zeit?«
»Sagen wir abends um neun Uhr im ›Aux Folies‹?«
»Um neun. Okay. Bis dann. Schlaf gut.«
Geheimnisse des Monsieur Dati
J acques fluchte. Die Uhr im Auto zeigte sechs vor neun an, und er stand im Stau. Um zu Michel nach Bezons zu gelangen, hatte er seinen Dienstwagen genommen. Denn die Metro fährt nicht so weit, und mit dem Bus dauert es ewig. Der Besuch bei dem Maler hatte ihn entspannt und von seinem täglichen Stress abgelenkt. Über die Pläne des Künstlers auszuwandern, hatten sie nur kurz geredet.
Michel drückte Jacques zum Abschied sein Buch »Ein Maler fürs Exil« in die Hand, das er im Selbstverlag herausgebracht hatte. Aber nichts deutete darauf hin, dass er bald aufbrechen würde.
Als der Künstler ihn einlud, zum Abendessen zu bleiben, entschuldigte Jacques sich, er sei mit Margaux verabredet. Oh! Nein, nein, nicht, was du denkst. Das ist mühselig zu erklären, aber da läuft nichts mehr. Es geht
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