Das marokkanische Mädchen. Ein Fall für Jacques Ricou
um einen Fall. Seit Monaten haben wir uns nicht mehr gesehen. Das Mittagessen in »La Petite Maison« zähle ja nicht.
Jacques fand es unhöflich, Margaux im »Aux Folies« warten zu lassen.
Der Stau.
Seit fünf Minuten bewegte sich nichts mehr.
Bis zur Rue de Belleville waren es nur noch fünfhundert Meter. Er bog rechts ab und schlängelte sich durch kleine Straßen in die Rue Julien Lacroix, die genau vor seinem Haus in die Rue de Belleville mündete und dort die Place Fréhel bildete. Aber da würde er keinen Parkplatz finden. Er fluchte, dann sah er eine kleine freie Stelle vor einer Ausfahrt und rangierte den kleinen Wagen mit Mühe hinein. Er wusste, dass die Ausfahrt nie benutzt wurde. Dann lief er die Rue de Belleville im Trab hinab.
Kurz vor dem Bistro »Aux Folies« herrschte Chaos.
Große Limousinen hielten vor dem »Le Pacifique«. Der Eingang war mit Papiergirlanden geschmückt, und abendlich gekleidete Chinesinnen und Chinesen stiegen vorsichtig aus. Eine Hochzeit. Eine chinesische Hochzeit.
Und das »Aux Folies« war rappelvoll.
Am Straßenrand warteten Trauben von jungen Menschen, die auf einen leeren Tisch hofften. Die Passanten mussten auf die Straße ausweichen, um vorbeigehen zu können.
Belleville zeigte sich an diesem warmen Samstagabend von seiner besten Seite als Schmelztiegel, der alte Einwohner mit den Migranten von überall her vermischt.
Im »Aux Folies« herrschte unter jungen Künstlern die Farbe schwarz vor. Obwohl schwarz ja nach Ansicht der Maler keine Farbe ist. Schwarz war die Farbe des Existenzialismus, aber das wissen sie schon nicht mehr. Schwarz ist einfach »in« unter Künstlern.
Drei junge Juden kamen mit Kippa auf dem Hinterkopf die Straße hoch, vielleicht waren sie in der Synagoge um die Ecke gewesen.
Autos hupten, weil immer mehr Leute sich ihren Weg zwischen den Fahrzeugen suchten.
Mit erhobener Faust und lautem Geschrei drohte eine alte Tunesierin, die ihre große Familie hinter sich wusste, einem Fahrer, der versuchte, indem er laut Gas gab und langsam anfuhr, die Fußgänger vor seiner Motorhaube zu erschrecken, um die Lücke zum Wagen vor ihm zu schließen.
Margaux war noch nicht da.
Gaston stand an der Tür. Als er Jacques sah, kam er auf die Straße und sagte: »Heute ist der Teufel los. Willst du einen Platz an der Theke?«
»Nein. Eher einen Tisch für zwei.«
»Oje, da sehe ich heute schwarz.«
»Margaux wollte mir von ihren Recherchen bei jemandem erzählen, der vielleicht was zu meinem Mordfall sagen kann.« Und dann, mit einem Blick auf die Menschenmasse, fügte er mit einer Handbewegung hinzu: »Das gibt heute noch eine Prügelei, wenn das so weitergeht.«
»Ich weiß nicht, was ich machen soll«, sagte Gaston nachdenklich, aber seine Miene erhellte sich, als Margaux sich aus der Menge auf der Straße löste. Sie gab Jacques eine Bise und Gaston auch, so als sei es das Natürlichste auf der Welt.
»Mein Gott, das sieht aber nicht so aus, als könnten wir hier sprechen«, sagte sie. »Was machen wir jetzt? Sollen wir zu dir raufgehen?«
»Wir können die Straße hochgehen zur Place Fréhel«, sagte Jacques. »Da komme ich gerade her, und da ist es noch ziemlich ruhig. Die Bar ›Culture rapide‹ hat immer noch ein paar Stühle und Tische draußen.«
»Oje, das ist aber ganz schön verratzt«, sagte Margaux.
»Du wirst dich wundern«, sagte Gaston. »Da hat eine Selbstinitiative im Frühjahr in drei Beeten je fünf ziemlich große Apfelbäume gepflanzt. Und es wachsen jetzt mitten auf dem geteerten Platz Tulpen in einer blauen Badewanne. In ein paar Jahren kann es da ganz urtümlich aussehen.«
Als sie die Straße hochgingen, sah Margaux, dass die kleine Buchhandlung einem Schuhladen gewichen war. Schade. Als sie in der Bar saßen, erzählte Margaux von dem Dîner mit Alexandre Dati. Ja, Louis de Mangeville war auch dabei gewesen. In Datis Wohnung in der Avenue Foch. Der hat keinen eigenen Geschmack. Eingerichtet hat es wohl ein Innenarchitekt. Das sieht man sofort. Ganz im Stil Karl Lagerfelds. Teuer, eleganter Plüsch und Seide. Dazwischen alte Meister und moderne Leinwände. Und im Eingang auch ein großer Michel Faublée.
Nach dem ersten großen Schluck aus dem Weinglas war sie nicht mehr zu stoppen.
»Dati hat eine Theorie, weshalb Mohammed sterben musste. Und wer dahintersteckt. Er kennt Mohammed aus Jugendzeiten, aber er verschweigt, dass beide derselben Bande angehört haben. Nebenbei hat er erwähnt, Mohammed sei zusammen
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