Das marokkanische Mädchen. Ein Fall für Jacques Ricou
Regierung macht es allerdings ein wenig eleganter als Sarkozy zu seiner Zeit. Der Justizberater des Präsidenten hat einen gemeinsamen Freund bei meinem Mann vorsichtig anfragen lassen, ob er mehr wisse. Wissen wir mehr?«
Jacques, dem Justine einen frischen Kaffee gebracht hatte, erklärte den Stand der Dinge, ohne auf Kalila einzugehen. Entweder Drogen oder Geldwäsche. Wenn aber das Élysée interessiert sei, dann wohl eher Geldwäsche. Oder vielleicht sogar Korruption? Dafür hatte Jacques aber keinen Hinweis.
Als er seine leere Kaffeetasse im Vorzimmer bei Justine abgab, sagte die: »Du hast dir jetzt auch eine eigene Kaffeemaschine geleistet, habe ich von Martine gehört.«
»Ich bin eurem Vorbild gefolgt.«
Sie nahm die leere Tasse und gab ihm eine Bise.
»Du bist doch ein Gentleman und bringst das Geschirr raus.«
Jacques legte seinen Arm um ihre Hüfte und zog sie an sich, um ihre Bise zu beantworten. Sie fasst sich gut an, dachte er. Und attraktiv ist sie auch. Und fröhlich. Dann ließ er sie los, um nicht doch in Versuchung zu geraten, und ging schnell. Nicht im Büro. Lass die Finger davon.
Am Nachmittag rief Margaux an.
Sie flötete ins Telefon. Ihr Chefredakteur mache Druck, sie solle die Geschichte weitertreiben. Heute hätten sie die Geschichte vom Vortag ein wenig ausgewalzt. Aber jetzt hat der Sohn Delon seinen Anwalt geschickt, also könne sie in diese Richtung nicht weiterschreiben. Da habe Jean-Marc nur gefragt: Wozu sie denn den Untersuchungsrichter kenne.
»Gibt es denn irgendeine Möglichkeit, dass ich mit Kalila spreche?«, fragte sie Jacques. »Oder kannst du mir was dazu sagen?«
Er seufzte. »Nein. Und das sage ich nicht, weil ich sauer bin wegen deines Artikels. Sondern weil es zu dem ganzen Fall noch nichts zu sagen gibt.«
»Hast du nicht irgendeinen Krümel, mit dem du mich füttern kannst?«
Sie schlug einen so verzweifelten Ton an, dass Jacques unwillkürlich lachen musste. Mit dieser Tour hatte sie ihn schon so manches Mal erweicht. Aber mit den Jahren hatte er gelernt, mit Journalisten umzugehen. Nicht einen einzigen Satz, den sie zitieren können, darf man denen sagen. Würde er Margaux antworten: »Wir haben noch keine heiße Spur«, dann könnte sie eine Schlagzeile drucken: »Richter Jacques Ricou hilflos in Mordaffäre«. Und dann würde sie den Tathergang noch einmal schildern und ihn wörtlich zitieren.
»Margaux, nichts, nichts, nichts erfährst du von mir. Hast du eigentlich schon dein Dîner mit Dati hinter dir? Hat das was gebracht?«
»Heute Abend. Und zwar bei Dati selbst.«
»Vielleicht erfährst du etwas, das mich interessieren könnte. Ruf mich an.«
Es gab Zeiten, da definierte Jacques sein Leben durch den Dreiklang Paris, Stress und Margaux. Paris und der Stress waren ihm geblieben. Ein bisschen Weiblichkeit sollte aber schon dazugehören.
Das Telefon klingelte.
»Die Pforte fragt, ob sie einen Boten durchlassen darf«, sagte Martine. »Er bringe ein Video, das er angeblich nur dir persönlich aushändigen darf.«
»Kann sein. Sie sollen ihn durchchecken und dann zu dir hochschicken. Du bringst das Video dann zu mir. Sag Jean Mahon Bescheid und frag, ob er sofort rüberkommen kann.«
Professor Félix Dumas hatte dem Video ein kleines Kärtchen beigelegt. Dies sei ein Ausschnitt aus der ersten Aufzeichnung, und die Aussagen von Kalila seien mit Vorsicht zu genießen. Im Falle eines Gerichtsverfahrens halte er selbst sie nicht für verwertbar. Und ganz bewusst habe er nur die Szene kopiert, die die Ermittlungen betreffe. Der restliche Teil des Videos falle in den Bereich der medizinischen Betreuung, also unter die ärztliche Schweigepflicht. »Da hat er sich aber gut aus der Affäre gezogen«, sagte Kommissar Jean Mahon, als er den Brief gelesen hatte.
»Leider hat er aber auch recht«, sagte Jacques. »Wahrscheinlich dürfte er uns noch nicht einmal diesen Ausschnitt zeigen.«
Jacques schob die DVD in seinen Computer ein. Es dauerte einen Moment, bis ein Bild erschien. Fast der ganze Raum war zu sehen. Die Vorhänge an den großen Fenstern waren halb geschlossen. An den Wänden hingen Plakate von Clowns, von Tieren, von Märchenfiguren. Auf dem Bett, das in einer Ecke stand, lagen viele Plüschtiere zwischen dem Kopfkissen und der verkrumpelten Bettdecke.
Offenbar hatte die Kamera ein Weitwinkelobjektiv und stand an einem festen Platz. Sophie saß mit Kalila auf dem Boden. Das Mädchen weinte.
»Sehe ich Mama und Papa nie wieder?«
»Wenn
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