Das marokkanische Mädchen. Ein Fall für Jacques Ricou
kannst du jetzt immer gern bei mir auf einen ordentlichen Kaffee vorbeikommen. Sozusagen als Ausgleich zum Whisky!«
»Wie wär’s heute Abend?«
»Zum Sonnenuntergang!«
Die Konten des Corbeau
F rançoise nippte an dem heißen Kaffee und machte ein zustimmendes Geräusch.
»Du bist die Erste, die eine Tasse aus der neuen Maschine bekommt!«, sagte Jacques. »Ich hoffe, du weißt das zu schätzen!«
»Und ob. Ich komme jetzt regelmäßig zu Dienstbeginn!«, sagte Françoise und wies mit dem Finger auf die Wand gegenüber von Jacques’ Schreibtisch.
»Schön, dass es immer noch da hängt. Passt wirklich zu dir!«
Jacques hatte ein Original des Titelblattes jener Ausgabe von »L’Aurore« in einem großen Rahmen aufgehängt, in der Émile Zola sein »J’accuse« in der Dreyfusaffäre veröffentlicht hatte.
Eines Tages war ein Paket für den Untersuchungsrichter Jacques Ricou bei Gericht eingetroffen, und weil es keinen Absender trug, wurde es durchleuchtet und besonders kritisch untersucht. Aber es befand sich nur eine Bildrolle mit einem anonymen Brief darin.
»Mein Ahn hat diese Ausgabe von ›L’Aurore‹ im Januar 1898 von dem wenigen Geld, das er verdiente, gekauft, und seitdem befindet sich das Blatt in unserer Familie. Ich habe es von meinem Vater erhalten, so wie mein Vater es von seinem Vater übernahm. Heute meine ich, ›J’accuse‹ gebührt Ihnen. Mögen Sie daraus die gleiche Kraft schöpfen, wie sie in Émile Zola wirkte.«
Jetzt saß Jacques an seinem mit Akten vollgeladenen Bürotisch auf dem alten, gepolsterten Sessel, den er immer mitnahm, wenn er versetzt wurde. Das Möbelstück gehörte zu ihm wie zu manchen Menschen Glücksbringer.
Im Sommer schützten die dicken Mauern des Palais den eher hohen als langen Raum vor der Hitze, die Sonne schien aus Osten schräg durch das verstaubte Fenster, das Jacques geöffnet hatte, als er ins Büro gekommen war. Warme Luft gegen die kalte Feuchtigkeit.
»›J’accuse‹. Ja, ein guter Text. Ich sehe das Blatt kaum noch. Was man jeden Tag vor Augen hat, verschwindet irgendwann mal. Wie der Eiffelturm. Fällt der dir im Stadtbild noch auf?«
Françoise lachte. »Nein, wirklich nicht. Was ist das – Eiffelturm?«
Doch dann wurde sie ernst.
»Der Brief des Corbeau war nicht uninteressant. Eins vorweg: Ich habe nichts über das Nummernkonto rausfinden können. Aber da bin ich immer noch dran. Und zum Foto: Der Mann neben Mohammed ist Georges Hariri. Also wäre es denkbar, dass ihm das Nummernkonto gehört. Ich bin, wie gesagt, dran.
Das zweite Konto, das auf den Namen Aziz Arfi lautet, ist erst vor knapp einem Jahr eingerichtet worden. Aziz Arfi, der Vater von Mohammed, ist allerdings schon vor drei Jahren in Marokko gestorben. Alles deutet darauf hin, dass Mohammed Arfi dieses Konto mit den Papieren seines Vaters eröffnet hat. Immerhin habe ich herausfinden können, dass es sehr wenige Bewegungen auf dem Konto gab. Bei der Eröffnung wurden sechzigtausend Euro bar eingezahlt. Und dann kam vor einem halben Jahr eine einmalige Überweisung von einer Million Euro.«
»Und weißt du, woher?«
»Ich habe keinen Beleg, aber einiges spricht dafür, dass die Summe von dem besagten Nummernkonto überwiesen wurde. Ich habe bei GG einen Jazzfreund, den ich beim letzten Festival in Montreux kennengelernt habe. Den habe ich angemorst und mich für morgen, Samstag, angemeldet. Ein Wochenende in Genf, warum nicht. Ich fahre gleich früh mit dem TGV hin.«
»Gut, dass du als Jazz-Sängerin auftrittst. Hattest du in Montreux nicht auch den Polizisten aus Leipzig kennengelernt, der uns dann im Fall Marc Leroc und Holm Mormann geholfen hat?«
Diesen Fall zu erwähnen, hätte Jacques sich verkneifen können. Denn Françoise errötete, als er sie daran erinnerte. Dem Leipziger Polizisten hatte sie im Bett mehr gesagt als nötig.
Um abzulenken, sagte sie: »Sonntagnachmittag in einer Woche treten wir wieder in der Kirche Saint-Merri auf, wenn du Lust hast, komm doch um drei vorbei.«
Jacques fragte: »Willst du noch einen Kaffee?«
»Gern! Er schmeckt wirklich einmalig.«
Kalilas Aussage
A ls Marie Gastaud Jacques zu sich bat, fürchtete er, sie wolle ihm doch das Gutachten über Wein als Lebensmittel aufbrummen. Aber dann zeigte sie sich äußerst freundlich und wollte nur über den Stand der Ermittlungen informiert werden.
»Es ist merkwürdig«, sagte Betonmarie, »aber es interessieren sich mehr Leute für den Mord als bisher üblich. Die neue
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