Das marokkanische Mädchen. Ein Fall für Jacques Ricou
du deiner Polizistin, die bei dem Mädchen Wache schiebt, das Bild von Mohammed mit Hariri in Genf mitgeben. Die kleine Frau könnte es Kalila ganz beiläufig zeigen, um zu erfahren, ob das der Onkel war, den sie meint.«
»Entschuldige meine Blödheit vorhin. Die Idee mit dem Foto klingt interessant. Ich werde es ihr sofort mailen. Sie kann es dem Kind auf ihrem iPad zeigen!«, rief Jean. »Und sonst? Soll ich nach Marrakesch kommen und dich unterstützen?«
»Lass mal. Schickt ein paar Sprengstoffspezialisten. Das waren mindestens fünfzig Kilo TNT , vermute ich.«
»Wer benutzt denn heute noch TNT ? Da gibt’s Besseres!«
»Jean, hör auf, ich kann wirklich nicht mehr!«
Jacques drückte auf die rote Taste. Aus.
Er lehnte sich leicht zurück und schaute hinauf in die zehn Meter hohen Palmen. In der Ferne hörte er immer wieder Sirenen.
Wenn er jetzt Margaux anrufen würde, hätte sie eine Schlagzeile. Attentat auf Richter Ricou in Marrakesch. Die Agenturen werden den Anschlag schon gemeldet haben. Aber niemand wusste etwas von ihm. Hoffentlich hielt Jean Mahon dicht.
Jacques ließ seinen Gedanken freien Lauf. Hatte es 2011 nicht schon einmal einen Anschlag in Marrakesch gegeben? Auf ein Café am Platz Djemaa el Fna. Auch damals waren die meisten Opfer des Bombenanschlags Franzosen gewesen.
Schlecht für den Tourismus. Sehr schlecht für den Tourismus. Und sorgte sich Mohammed VI . nicht um den Tourismus?
Jil hatte ihm gesagt, der Geheimdienst in Marokko sei einer der besten der Welt. Dann wird er alles tun, um solch einen Anschlag zu verhindern.
Doch diesmal waren die Opfer keine Touristen.
Aber wieder traf es Franzosen.
Männer, die an der TGV -Trasse mitarbeiteten. Das Ziel des Bombenanschlags war eindeutig das französische Ingenieurbüro, in dem Marokkaner wie Ibrahim Rossi arbeiteten. Und das Ingenieurbüro gehörte Georges Hariri. Hariri galt wegen seiner Frau und deren Familie als Marokkaner.
Jacques überlegte: Er müsste jetzt dringend Ali treffen. Und vielleicht anschließend auch Hariri. Zu Ali würde Jil den Kontakt herstellen. Aber wie käme er an Hariri ran? Eins nach dem anderen, sagte er sich. Noch hatte er keine Kraft aufzustehen.
Die Sonne war untergegangen. Überall glühten Lampen auf, das kalte Licht der hohen Bogenlampen am Straßenrand mischte sich mit den bunten Birnen, die wie Girlanden über den Wagen fliegender Händler, kleinen Läden oder vollen Cafés hingen.
In seiner Nase bemerkte er das Überbleibsel eines beißenden Geruchs.
Sprengstoff?
Nein.
Verbranntes Fleisch.
Die Nacht im »Riad«
D er Anschlag brachte es nicht bis in die marokkanischen Fernsehnachrichten. Als Jacques sich darüber aufregte, lachte Jil: »Die meisten Fernsehprogramme werden von der Regierung kontrolliert. Wundert dich das?«
Sie goss ihm noch einen Whisky ein und sagte: »Ich lasse uns eine leichte Tagine zubereiten. Es wäre unsinnig, heute Abend auszugehen. Du solltest dich draußen erst einmal nicht zeigen. Das Mädchen am Empfang hat dich gesehen. Sie weiß, dass du mit Ibrahim Rossi gesprochen hast. Und du bist gleich nach der Explosion verschwunden. Ich vermute, Ibrahim hatte inzwischen schon Besuch und hat von dir erzählt. Brahim hört sich mal um.«
Sie aßen im Patio. Jil hatte einen kalten französischen Rosé aus ihrem Weinschrank geholt.
»Die Geschichte mit dem TGV ist ziemlich vertrackt«, sagte sie. »Das fängt damit an, dass Sarkozy ungeheueren Druck auf M 6 gemacht hat, Kampfflugzeuge vom Typ Rafale zu kaufen.«
»Die sein Freund Dassault herstellt«, sagte Jacques. »Und die außer der französischen Luftwaffe niemand fliegt.«
»Ja. M 6 war auch gewillt, ein paar Rafales zu kaufen, aber die Amerikaner waren einfach schlauer. Die haben ihre Phantom billiger angeboten und gleich die Finanzierung dazu.«
»Aber was hat das mit dem Superschnellzug zu tun?«
»Sarko hat darauf bestanden, dass Marokko ein Großprojekt bei den Franzosen bestellen solle. Wenn keine Flugzeuge, dann wenigstens den TGV . Den will auch niemand in der Welt, obwohl Frankreich Jahrzehnte vor allen anderen technisch dazu in der Lage war.«
Als die erste Flasche Rosé leer war, holte Jil eine zweite und reichte sie Jacques zusammen mit dem Korkenzieher. Er zog den Korken heraus, goss sich ein, probierte und füllte dann Jils Glas. Und seines.
»Aber braucht Marokko einen Superschnellzug?«, fragte er.
»Natürlich nicht! Aber diesmal hat Sarko versprochen, die Finanzierung zu regeln und
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