Das marokkanische Mädchen. Ein Fall für Jacques Ricou
intervenieren, ein Zeichen zu schweigen. Ganz schön autoritär, dachte Jacques.
»Monsieur le Juge, Sie werden ja meine Waffen mitgenommen haben. Die können Sie alle untersuchen. Keine ist in den letzten Jahren abgefeuert worden. Und ich besitze tatsächlich eine Luger. Aber das ist eine Waffe mit einer Geschichte. Sie ist nach dem Ersten Weltkrieg als Kriegsentschädigung von der kaiserlichen Armee an die französische Armee ausgeliefert und später, vor dem Zweiten Weltkrieg, von der französischen Polizei benutzt worden. Keine Schweizer Luger.«
»Ich muss Sie noch einmal fragen, weshalb Sie Mohammed um neun Uhr früh an diese Stelle im Wald bestellt haben.«
Hariri schüttelte den Kopf.
»Wer war der Mörder?«
Hariri schaute den Untersuchungsrichter fast mitleidig an.
»Kennen Sie das Mädchen Kalila?«
»Oh ja, sie ist meine Patentochter«, rief Hariri, und er übersah den strengen Blick seines Anwalts, »wir stehen uns sehr nah. Ich habe leider keine eigenen Kinder, deshalb habe ich sie fast wie meine eigene Tochter angesehen oder wie ein Onkel seine Nichte. Ihr Lieblingskuscheltier ist ein Käfer, den ich ihr geschenkt habe. Ein süßes Mädchen. Gott sei Dank hat sie überlebt.«
»Nur durch einen Zufall hat sie überlebt«, sagte Jacques. »Und sie beharrt darauf, dass Sie Mohammed Arfi mit einer Verabredung an den Tatort gelockt haben.«
Hariri reckte sich, stieß einen kurzen Seufzer aus und sagte: »Quatsch. Alles Quatsch. Woher will sie das wissen?«
»Das hat ihr Vater gesagt.«
Hariri schwieg.
»Wir haben Kalilas Aussage auf Video.«
»Wenn Sie das mal verwenden können! Was ich bezweifle.« Der Anwalt deutete auf die große Uhr über der Tür. »Die halbe Stunde ist schon überschritten. Bitte lassen Sie Monsieur Hariri sich erholen. Ihr Besuch hat ihn sehr geschwächt.«
»Monsieur Hariri, Sie sind hiermit wegen des Verdachts auf Mittäterschaft bei Mord festgenommen. Wir werden Sie zu gegebener Zeit mit der Zeugin konfrontieren«, sagte Jacques. »Vor der Tür dieses Krankenzimmers werden von jetzt ab zwei Polizisten Wache stehen. Sobald Sie gesundheitlich in der Lage sind, werden Sie ins Gefängnis verlegt werden.«
Der Corbeau packt aus
D ie Schutzhaft im Schlafzimmer des Untersuchungsrichters hat sich gelohnt, dachte Margaux vergnügt, als sie in der Redaktion ihre Kollegen, die an der Serie »Der Brief des Corbeau und die Folgen« mitarbeiteten, zusammenrief, um die Texte für den nächsten Tag zu besprechen.
Inzwischen bereute sie den Artikel über den Lifestyle-Richter.
Jacques war doch der interessanteste Mann in ihrem Leben.
Um kurz nach sieben war sie in seinem warmen Bett wach geworden, weil der Kommissar der Police judiciaire aus Fréjus anrief.
Jacques hatte auf Lautsprecher gestellt, damit sie mithören konnte. Das hieß für sie, sie durfte schreiben, was sie hörte. Margaux kuschelte sich an ihn, so war sie nicht nur dem Telefon, sondern auch Jacques näher. Mahon erzählte von den ausfälligen Beleidigungen durch Ronsard, von der jungen Frau im Morgenmantel, von den Aktenordnern.
Der Kommissar, der kurz vor der Rente stand, hatte in seinem langen Berufsleben als Polizist selten solch einen Fund gemacht.
Margaux machte sich im Kopf Notizen.
Sie saß wieder an der Quelle, wie keine andere Journalistin. Nun gut, sie saß nicht, sie lag. Das Kopfkissen bleibt eben doch die beste Fundgrube, dachte sie und schmunzelte in sich hinein. Und Jacques blieb nicht nur interessant, sondern auch ein guter Liebhaber.
Eins war klar. Den Artikel über die Durchsuchungen bei Ronsard und Hariri würde sie selbst schreiben. Mit den Fotos des verhafteten Innenministers und seiner Geliebten machte schon allein diese Geschichte die Schlagzeile und eine volle Seite aus.
Vor der Redaktionskonferenz hatte Margaux auf gut Glück bei Alexandre Dati angerufen. Er war direkt am Telefon, und sie erzählte ihm von der Durchsuchung bei Ronsard.
»Ich weiß noch eine ganze Reihe Details«, sagte Margaux, »aber die will ich nicht am Telefon erzählen. Ich würde Sie deshalb gern sehen.«
»Okay«, antwortete Dati. »Es hören bei Ihnen und bei mir sicher dieselben Leute aus der Piscine mit.«
Piscine, Schwimmbad, hieß die Abhörzentrale des Inlandsgeheimdienstes, weil sie früher in einem ehemaligen Schwimmbad untergebracht gewesen war.
»Ich müsste mal sehen, wann es geht. Morgen fliege ich erst einmal für eine Woche nach Beirut …«
»Monsieur Dati. Wir sind eine
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