Das Matarese-Mosaik
– nein, es wäre mir sogar eine Ehre. Ich habe Ihre Personalakte gelesen.«
»Das meiste davon ist übertrieben, damit meine Vorgesetzten und die Analytiker gut aussehen. Sie würden Ihrer Karriere keinen Gefallen tun, wenn Sie sich mit mir einlassen. Die meisten in der Branche betrachten mich als einen Spinner oder Schlimmeres. Etwas viel Schlimmeres.«
»Dazu will ich jetzt nichts sagen. Inwiefern irre ich mich erneut? Und zwar in einem wesentlichen Punkt?«
»Weil die Matarese nie so etwas wie Gangster rekrutiert haben; niemand ist je in ihrer Hierarchie aufgestiegen, weil er jemanden umgelegt hat. Oh, wenn man ihnen das befahl, töteten sie, aber nicht mit Fleischerhaken, nicht mit Schrotflinten, nicht mit Ketten im Fluß – gewöhnlich nicht einmal mit Leichen. Wenn der Matarese-Rat – und genau das war es – Wert auf Brutalität legte, die der Öffentlichkeit zur Kenntnis gebracht wurde, dann zahlten sie aus geheimen Quellen irgendwelche Terroristen, die man aber nicht mit ihnen in Verbindung
bringen konnte. Ihre Mitglieder setzten sie nie für solche Dinge ein. Sie waren leitende Angestellte, keine Gangster.«
»Sie waren habgierige Mistkerle, die einem Wildschwein in den Hintern krochen.«
»Allerdings.« Wieder lachte Scofield leise in sich hinein und nahm einen Schluck Brandy. »Sie hielten sich für eine Elite, Cameron, Leute, die turmhoch über den normalen Sterblichen standen. Im großen und ganzen waren sie die besten Absolventen der besten Universitäten auf beiden Seiten des Atlantik, die Besten und Intelligentesten, die Industrie und Regierung aufbieten konnte. Für sie gab es nicht die leisesten Zweifel, daß sie mit der Zeit ungeheuer erfolgreich werden würden; die Matarese waren für sie nur ein Mittel zum Zweck. Aber sobald sie sich einmal mit ihnen eingelassen haben, kamen sie nicht mehr los. Und das Mittel zum Zweck wurde zu einer Welt, der sie nicht mehr entkommen konnten.«
»Wie steht es mit der Verantwortlichkeit? Wie steht es mit Recht und Unrecht? Wollen Sie sagen, daß diese Armee der Besten und Klügsten keinen Begriff von Moral hatte?«
»Ich bin sicher, daß das für einige nicht stimmt, Mr. Pryce … Cameron«, sagte Antonia Scofield, die jetzt lautlos aus einem weißen Türbogen auf die Veranda getreten war. »Und ich bin ebenso sicher, daß ihnen und ihren Familien, wenn sie solche Vorbehalte vorgebracht hätten, Schreckliches widerfahren wäre… im wesentlichen tödliche Unfälle.«
»Das ist barbarisch.«
»Das war der Stil der neu zum Leben erweckten Matarese«, fügte Scofield hinzu. »An die Stelle der Moral trat die Ausweglosigkeit. Sehen Sie, das alles hat sich ganz allmählich entwickelt, und ehe ihnen das ganz klar geworden war, gab es keinen Ausweg mehr. Sie lebten ein ungewöhnlich extravagantes und doch seltsam normales Leben mit Frauen und Kindern und einem teuren Geschmack. Sie verstehen doch, worauf das alles hinausläuft, Cam?«
»Mit beängstigender Klarheit … Ich weiß ein wenig – nicht sehr viel – darüber, wie Sie und Wassilij Taleniekov zusammenkamen und den Matarese den Krieg erklärt haben. Aber
Ihr Bericht war nicht sehr umfassend. Würden Sie bitte noch etwas deutlicher werden?«
»Sicher wird er das«, sagte die Frau. »Nicht wahr, Liebling?«
»Jetzt fängt sie schon wieder an«, sagte Scofield und warf Antonia einen liebevollen Blick zu. »Mein Abschlußbericht war eine Farce, weil der kalte Krieg immer noch ziemlich heiß war und es ein paar Witzbolde gab, die Wassilij, unseren Sowjetfeind, als einen Unmenschen hinstellen wollten. Damit wollte ich nichts zu tun haben.«
»Er hat sich für den eigenen Tod entschieden, damit wir leben konnten, Cameron«, sagte Antonia und ging zu einem weißen Korbstuhl neben ihrem Mann. »Er hat sich, von schrecklichen Schmerzen gepeinigt, auf unsere Feinde geworfen und uns die Flucht ermöglicht. Wenn er sich nicht geopfert hätte, hätte man uns beide getötet.«
»Vom Todfeind zum Verbündeten, ja zum Freund, für den man das eigene Leben opfert?«
»Soweit würde ich nicht gehen, und ich habe viele Jahre darüber nachgedacht. Wir haben nie vergessen, was wir einander angetan haben, aber ich denke, er hat für sich die Entscheidung getroffen, daß sein Verbrechen das größere war. Er hat meine Frau getötet, ich seinen Bruder … Das ist Vergangenheit; nichts kann daran etwas ändern.«
»Davon hat man mir erzählt«, sagte Pryce. »Man hat mir auch gesagt, daß man Sie als ›Nicht zu
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