Das Matarese-Mosaik
Die eine nannte es ›das Böseste, was es auf dieser Welt gibt‹, die zweite ›das fleischgewordene Böse‹. Da dies die Worte von zwei älteren Menschen waren, die ihren Tod vor Augen hatten, würde selbst ein Gericht ihre Äußerungen als ernstzunehmend betrachten … Sie haben da etwas völlig anderes beschrieben.«
»Sie haben recht und zugleich unrecht«, sagte Scofield. »Ich habe Guillaumes Vision aus seiner Perspektive beschrieben, und – damit Sie mich nicht mißverstehen -, er war kein Heiliger. Er wollte totale Kontrolle, aber ein Teil seines Genies bestand darin, daß er praktische und philosophische Zwänge erkennen konnte…«
»Ziemlich hochgestochen formuliert.«
»Entspricht aber den Tatsachen«, fuhr der ehemalige Abwehrmann fort. »Wenn Sie es sich richtig überlegen, war Matarese seiner Zeit beinahe ein Jahrhundert voraus. Er wollte etwas ins Leben rufen, was man später als Weltbank bezeichnete oder als Internationalen Währungsfonds. Und dazu mußten seine Gefolgsleute den Anschein strikter Legalität erwecken, fleckenlos.«
»Dann muß irgend etwas geschehen sein, das aus dem Guten etwas Böses gemacht hat, vorausgesetzt, daß meine Informationen richtig sind.«
»Es ist tatsächlich etwas geschehen. In dem Punkt haben Sie völlig recht. Die Matarese wurden zu Ungeheuern.«
»Und was war das?«
»Guillaume starb. Einige behaupten, er sei ums Leben gekommen, als er mit einer Frau im Bett lag, die fünfzig Jahre jünger war als er, und er war damals wohl Mitte achtzig. Andere stellen es anders dar. Aber wie auch immer, seine Erben – so nannte er sie – fielen ein wie ein Bienenschwarm, der einen Topf Honig entdeckt hat. Der Mechanismus existierte, es gab Ableger der Matarese in ganz Europa und Amerika, Geld, und was noch wichtiger war, vertrauliche Informationen flossen wöchentlich, wenn nicht täglich, hin und her. Sein Imperium war wie ein unsichtbarer Krake, der in aller Stille die schmutzigen Tricks und die übertriebenen Profite von Dutzenden von Unternehmen, nationalen wie internationalen, überwachte und an die Öffentlichkeit zu ziehen drohte.«
»Anfänglich also eine Art Selbstkontrollmechanismus für die Wirtschaft – auf nationaler und internationaler Ebene?«
»Das ist eine der besten Formulierungen dafür, die ich je gehört habe. Schließlich, wer weiß schon besser als ein korrupter Polizist, wie man die Gesetze bricht, für deren Einhaltung er verantwortlich ist? Die Erben nutzten die Gunst der Stunde. Die vertraulichen Informationen wurden nicht länger als Drohung benutzt, sondern verkauft. Die Profite schnellten in die Höhe, und Guillaumes Nachfolger verlangten Anteile an den künftigen Gewinnen. Herrgott, sie haben ganze Territorien in ihren Machtbereich eingegliedert und wurden so etwas wie ein Unterweltkult – ich meine, ein richtiger Kult. Wie in der Cosa Nostra wurden neue Mitglieder unterschiedlichen Ranges zeremoniell vereidigt, und die oberen Ränge trugen tatsächlich kleine blaue Tätowierungen, von denen man ihren Rang ablesen konnte.«
»Das klingt verrückt.«
»Es war auch verrückt, aber es war auch äußerst effizient. Sobald sich ein neuer Matarese einmal qualifiziert hatte, wurde ihm seine Position auf Lebenszeit garantiert – er war dann finanziell gesichert, vor den Gesetzen geschützt und frei von den üblichen Belastungen eines normalen Lebens -, solange er oder sie nur den jeweiligen Vorgesetzten gehorchte, ohne irgendeine Anweisung in Zweifel zu ziehen.«
»Und eine Anweisung in Zweifel zu ziehen, bedeutete finito «, sagte Pryce im Sinne einer Feststellung, nicht einer Frage.
»Darüber herrschte Einigkeit.«
»Wie ich das sehe, ist das, was Sie da beschreiben, also im Grunde genommen eine Mafia.«
»Ich fürchte, Sie irren erneut, Mr. Pryce – in einem wesentlichen Punkt.«
»Da ich in Ihrem Haus Ihren Brandy trinke, würde ich mich freuen, wenn Sie Cameron sagen würden oder Cam, wie die meisten.«
»Wie Sie von meiner Frau schon hörten, nennt man mich ›Bray‹. Meine jüngere Schwester konnte Brandon bis zu ihrem vierten Lebensjahr nicht aussprechen, also nannte sie mich Bray. Und der Name blieb haften.«
»Mein kleiner Bruder konnte nicht Cameron sagen. Bei ihm klang das wie ›Camroom‹, also entschied er sich für ›Cam‹.«
»Bray und Cam«, sagte Scofield, »das klingt wie eine Anwaltsfirma, wenn auch ein wenig hinterwäldlerisch.«
»Es würde mich freuen, mit Ihnen in einem Atemzug genannt zu werden
Weitere Kostenlose Bücher