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Das Matrazenhaus

Das Matrazenhaus

Titel: Das Matrazenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulus Hochgatterer
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gestrichene und Pizzicato-Passagen in raschem Wechsel. Ab und zu kratzte der Bogen auf Holz. Er mochte das. Er blieb neben der Tür an der Wand stehen und hörte zu.
    »Er kifft nicht«, sagte sie plötzlich und ließ den Arm sinken, »er kifft hundertprozentig nicht.« Spiel weiter, dachte Horn, sprich nicht, sondern spiel bitte weiter. Sie lehnte sich zurück und blickte ihn an. Was er denn davon habe, wenn er Tobias verdächtige, fragte sie, sie sei schließlich auch nicht von gestern und habe noch nie etwas bemerkt, komischen Geruch oder so. Horn dachte an die Eltern magersüchtiger Mädchen, die bis knapp vor dem Tod ihrer Töchter nichts bemerkten. Er gab keine Antwort. Sie strich einen tiefen Ton an. »Und wie meint er das mit dem Schlagen?«, fragte sie. »Kinder werden geschlagen«, sagte er.
    »Werden sie das nicht ständig?«
    »Nein, es ist anders. Systematischer. Und es geschieht hier.«
    »Und was hast du damit zu tun?«
    »Nichts. Eigentlich gar nichts«, sagte er. Sie griff wieder zum Bogen. Opus fünf, Nummer eins, fiel ihm ein, aber es war mit Sicherheit nicht von Beethoven gewesen, was er da soeben gehört hatte.
    »Was macht eigentlich dein Tenor?«, fragte er im Hinausgehen. Sie sah ihn verständnislos an. »Er schont seine Stimme«, sagte sie schließlich.
     
    Raffael Horn saß im Auto und dachte nach. Die Sache mit dem Ferienlager war eindeutig. Tobias war am Morgen im Bett gelegen, zur Seite gedreht, mit versiegeltem Mund und geballten Fäusten. Sie waren beide dagestanden, hatten an ihm gezerrt und sich gegen die Erkenntnis gewehrt, dass ihn keine Macht der Welt in irgendeine Richtung würde bewegen können. Als er dann um halb neun, fünf Minuten nach Abfahrt des Busses, aufgestanden war, sich an den Küchentisch gesetzt und gefragt hatte: »Wo ist mein Frühstück?«, waren bei ihm, Horn, die Sicherungen durchgebrannt. Er hatte ihn mit der Linken am Schopf gepackt, sich den Kopf zurechtgerückt und ihm mit der Rechten eine geknallt, links, rechts, Handfläche auf die linke Wange, Handrücken auf die rechte. Er spürte nach wie vor die Unbändigkeit der Wut von damals und er sah das Gesicht seines Sohnes vor sich, in dem kaum Überraschung oder Angst gewesen waren, sondern vor allem Verachtung und Triumph. Sie hatten danach nie darüber gesprochen, kein einziges Wort. Der Rucksack war zwei Monate lang gepackt im Kinderzimmer gestanden. Schließlich war es Irene zu blöd geworden und sie hatte ihn ausgeräumt. Horn hatte sich nie entschuldigt.
    Er startete, setzte in dem Feldweg, in dem er gestanden war, einige Meter zurück und lenkte den Volvo wieder auf die Fahrbahn. Am Straßenrand blühten dort und da die ersten Margeriten. Die Sonne ließ das junge Laub der Bäume gelb aufleuchten. Die Stadt lag ausgerollt vor ihm, so, als seien die Entfernungen zwischen den einzelnen Punkten größer geworden. Die Hubschrauberlandeplattform auf dem Dach des Krankenhauses ragte über den Fluss hinaus wie ein Sprungbrett. Es ist Frühling, dachte er, ich habe einen Konflikt mit meinem Sohn und ich spreche zu wenig mit meiner Frau.
    Einmal hatte sie Tobias an den Haaren gezogen. Er war vielleicht zwölf gewesen und hatte mit dem Argument, er habe sich aber Ravioli gewünscht, das Bœuf Stroganoff, das sie gekocht gehabt hatte, von seinem Teller in den Topf zurückgekippt, Reis und Salat gleich mit. Ob sie ihn jemals geschlagen hatte, wusste er nicht. Bei Michael war das anders. Wahrscheinlich ist das auch eine Art Rollenverteilung, dachte er, der eine schlägt ein Kind, der andere nicht, beim zweiten ist es umgekehrt. Eine Szene fiel ihm ein, in der Irene ihrem Zorn über Michaels Legasthenie freien Lauf gelassen hatte. Er kann nicht lesen, hatte sie gesagt, er kann nicht schreiben und wenn man ihm helfen will, schaut er einen an wie ein Frosch. Außerdem kennt er keine Noten, hatte sie halblaut angefügt und er hatte sich in diesem Moment zum ersten Mal vorgestellt, wie sie ihn schlug, wenn er selbst nicht dabei war.
     
    Frühwald erwartete ihn unter einem Schäfchenwolkenhimmel auf dem Spitalsparkplatz. Er lehnte an seinem senfgelben Kleintransporter und rauchte. »Ich habe nicht zurückgerufen, tut mir leid«, sagte Horn. »Sie haben viel zu tun«, antwortete Frühwald und stieß sich vom Auto ab. Er war braungebrannt wie im Hochsommer. »Tanken Sie Sonne, bevor die Schwimmsaison beginnt?«, fragte Horn. »Die Schwimmsaison hat schon begonnen«, sagte Frühwald, »vor gut einer Woche.« Als

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