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Das Matrazenhaus

Das Matrazenhaus

Titel: Das Matrazenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulus Hochgatterer
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breit gewesen und hätten daher alle ausgetauscht werden müssen; nicht zu reden vom Umbau der Sanitärräume oder von der Neuanlage der Zufahrt. Frühwald wies auf den betonierten Weg, dem sie in zwei flachen Serpentinen den Hang hinauf folgten. Einige Meter vor dem Haustor blieb er stehen und erzählte davon, welchen Dreck es mache, in einem Haus elf Türöffnungen um jeweils fünfzehn Zentimeter zu verbreitern, abgesehen von den Kosten. In diesem Moment huschte etwas über sein Gesicht. »Sie sind Arzt, oder?«, fragte er. »Ja, ich bin Arzt«, sagte Horn, »das wissen Sie.«
    »Sie unterliegen der Schweigepflicht?«
    Natürlich unterliege er der Schweigepflicht, sagte Horn, was denn die Frage solle. Frühwald drehte den Schlüssel im Schloss. Sie ist tot, dachte Horn, er hat sie erwürgt und will, dass ich ihr ein natürliches Ableben attestiere, einen protrahierten epileptischen Anfall zum Beispiel oder eine Lungenembolie. Frühwald wandte den Kopf. Horn griff sich an den Mund. Nicht schon wieder, dachte er. »Ich höre nichts«, sagte Frühwald, »ich schätze, sie schläft.«
    Margot Frühwald lag auf dem Rücken im Bett und starrte mit weit aufgerissenen Augen vor sich hin. Im Grunde sah man von ihr nur das Gesicht, drumherum dunkelblaues Bettzeug mit silbernen Pfauenfedern. Was sich da zeige, sei lediglich eine Variante ihres derzeitigen Verhaltens, sagte ihr Mann, ansonsten brülle sie wirres Zeug oder wimmere stundenlang vor sich hin, abgesehen von ihren Anfällen. Jawohl, Plural. Sie habe während der letzten drei Tage sicher zehn epileptische Anfälle gehabt, einige von ihnen nur wenige Sekunden lang, andere drei, vier Minuten, mit Krämpfen und Blauwerden und Harnverlust, wie man sich das halt so vorstelle. Er habe ihr Diazepam verabreicht, in Tropfenform und als Rektiole, es habe aber nichts bewirkt. Horn trat auf das Bett zu. »Was tun Sie?«, fragte Frühwald und fasste erneut seinen Oberarm. »Ich möchte sie untersuchen«, sagte Horn und zog die Decke weg.
    Die Gurte waren weiß, zirka acht Zentimeter breit und jeweils links und rechts am Bettrahmen fixiert. Sie griffen um die Handgelenke und besaßen runde Magnetverschlüsse. »Es ging nicht anders, tut mir leid«, sagte Frühwald und blickte zum Fenster. Auf der Stirn seiner Frau standen dicht gedrängt die Schweißperlen. Horn verstand jetzt die Frage nach der Schweigepflicht. »Öffnen Sie das Zeug«, sagte er.
    Eine halbe Stunde später saßen Raffael Horn und Kurt Frühwald am Küchentisch und tranken Schnaps. Margot Frühwald war mit einem Rettungswagen unterwegs ins Krankenhaus. Verwirrtheitszustand nach cerebralem Anfall hatte Horn auf den Transportschein geschrieben und sie an seine eigene Abteilung zugewiesen. Seine Leute wussten Bescheid, außerdem würde er demnächst selbst dort auftauchen.
    Die Lähmung nach dem Unfall habe er irgendwie hingenommen, sagte Frühwald, »jeder hat seine Bürde zu tragen«, aber dass er jetzt auch nicht mehr vernünftig mit ihr reden könne, sei unerträglich für ihn. Sie spreche von Eisenbahnfahrten, von Hedwig, ihrer Schwester, zu der sie seit Jahrzehnten keinen Kontakt mehr habe, und von einem gewissen Sylvester, den er nicht kenne. Am wenigsten halte er aus, wenn sie von den Kindern ihrer Gruppe erzähle, so, als sei nie etwas passiert, von den Ausflügen und Spielen, von Mein rechter Platz ist leer , von Ball über die Schnur und von Wir sind die Tiere des Dschungels . »Sie war die Liebe meines Lebens, verstehen Sie?«, sagte Frühwald, »man hat sie mir kaputtgemacht.« Er griff nach der Flasche, um nachzuschenken. Horn legte die Hand auf sein Glas. »Trinken Sie jeden Vormittag?«, fragte er. Frühwald zog eine Braue hoch. »Nur wenn ein Psychiater auf Besuch ist«, sagte er.
    Sie sprachen über die Untersuchungsserie, die zu erwarten war, über die Wahrscheinlichkeit, auch längere Zeit nach einem Epiduralhämatom ein Anfallsleiden zu entwickeln, und über die Möglichkeiten der medikamentösen Behandlung. Frühwald schien mit der Zeit eine gewisse Zuversicht zurückzugewinnen. »Also: alle Befunde, ein paar Nachthemden, einen Morgenmantel, Hausschuhe, Zeitschriften. Ich werde nichts vergessen«, sagte er am Ende. Zwischendurch überlegte Horn, ihn zu fragen, wo er denn die Fixierungsgurte aufgetrieben habe, ließ es dann aber bleiben.
    Horn hatte beschlossen, zu Fuß zurückzugehen. Beim Weggehen stellte er fest, dass in Frühwalds Garten der Holunder zu blühen begann und dass

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