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Das Matrazenhaus

Das Matrazenhaus

Titel: Das Matrazenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulus Hochgatterer
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die junge Sommerlinde, die in der Kurve des Zufahrtsweges wuchs, ebenfalls die ersten Blüten schob. Sonst freue es ihn, wenn in einem Jahr die Vegetation früh dran sei, sagte Frühwald, wenn die wilden Krokusse durch den letzten Schnee stießen oder die blaue Clematis schon Ende Februar ihre Ranken ausfahre, aber diesmal sei ihm das völlig egal. Horn blieb am Gartentor stehen und wandte sich Frühwald zu. »Wer, glauben Sie, schlägt systematisch Kinder?«, fragte er. Frühwald überlegte. »Sie meinen diese Schwarze-Glocken-Sache?« Horn nickte. »Vielleicht so jemand wie ich.« Auf Frühwalds Gesicht lag die Andeutung eines Grinsens, als er ihm die Hand hinstreckte.
     
    Die Beete entlang des gepflasterten Fußweges, der zwischen den Wohnblocks durchführte, waren offenbar erst jüngst mit Rosen und Buchsbaum bepflanzt worden. Der modrige Geruch frischer Blumenerde lag noch in der Luft. Zwischen den Setzlingen scharrten Amseln nach Würmern. Horn dachte an Irene, an ihre Begeisterung für den Garten und ihre Unfähigkeit, sich gegen Ungeziefer zur Wehr zu setzen. Chemische Schädlingsbekämpfungsmittel verabscheute sie, und wenn die Blattlausplage einmal so arg war, dass sie sich genötigt sah, Brennnesseljauche oder verdünnten Essig einzusetzen, wurde sie von schlechtem Gewissen gepeinigt. Als er zuletzt die Nacktschnecken, die ihre hochheiligen Zwergastern und Cosmeen auffraßen, eingesammelt und in Bier ertränkt hatte, hatte sie ihn einen Mörder genannt. Später hatte sie sich halbherzig entschuldigt und vorgeschlagen, ein Pärchen chinesischer Laufenten anzuschaffen. »Die ernähren sich von Schnecken«, hatte sie gesagt, und als er geantwortet hatte: »Wenn du das tust, ernähre ich mich von chinesischen Laufenten«, war sie erst recht beleidigt gewesen. Sie lässt mich nicht kalt, dachte Horn, sie begeistert mich, sie steckt mich in Brand; manchmal macht sie mich ganz weich, manchmal verletzt sie mich; kalt lässt sie mich nicht. Trotzdem habe ich sie noch nie die Liebe meines Lebens genannt, dachte er, jemand anderem gegenüber nicht und ihr gegenüber schon gar nicht. Vielleicht war das so, weil er nicht in die Situation kommen wollte, es, wie Frühwald, im Praeteritum formulieren zu müssen, oder vielleicht verlernte man als Psychiater, an derart pathetische Zustände zu glauben. »Die Liebe ist in erster Linie eine hormonelle Imbalance«, hatte Cejpek, der Oberarzt der Internen, gesagt. Christina hatte geantwortet, da sei sie aber froh, dass der Herr Oberarzt durch diese Störung nicht in Gefahr gebracht werde, und Cejpek hatte gesagt, das stimme nicht ganz, ein Sechzehnender auf einer Waldlichtung könne sein inneres Gleichgewicht auch ganz schön irritieren. Cejpek hatte eine Jagd am südwestlichen Abhang des Kammwandmassivs gepachtet und verbrachte jede freie Minute dort. Er war ein exzellenter Kenner der lokalen Fauna und schoss absolut sicher, wenn es drauf ankam. Auf Frauen ging er zu wie aufs Niederwild bei einer Treibjagd, schnell und laut, was bisher zu keinem nachhaltigen Erfolg geführt hatte. Irene sprach immer wieder von Liebe. Horn nahm das manchmal ernst, manchmal weniger, je nachdem, ob zugleich ein halbitalienischer Tenor in Sichtweite war oder nicht.
    Er querte den Platz vor dem evangelischen Pfarrzentrum und nahm den Weg durch die Ettrichgasse. Meine Frau friert demonstrativ, wenn sie mit mir an einem Tisch sitzt, dachte er, mein Sohn zerquetscht mir das Frühstücksei und meine Patientinnen werden von ihren Ehemännern ans Bett gegurtet. Außerdem fällt die Katze um. Es gab Tage, an denen war es besser, nicht gesehen zu werden. Er versuchte sich auf die Dinge einzustellen, die ihn erwarteten: auf Frau Hrstics Tochter, die in einem ihrer grellen Kostüme an der Stationstür auf ihn zutrippeln und empört behaupten würde, der Sturz ihrer Mutter könne nur auf Fremdeinwirkung zurückzuführen sein; auf Sabrinas Vater, der selbst durchs Telefon auf einer Schleimspur daherkam – nimmt denn das gar kein Ende mit dieser Ritzerei, ich kann mir das nicht erklären, sagen Sie mir, was ich beitragen kann, Herr Doktor; und auf diesen Marcus mit C und der E-Gitarre, mit dem er vermutlich diesmal endlich würde reden können.
    Die Siedlungshäuser hatten etwas Beruhigendes. Sie beherbergten Menschen und spielten sich nicht auf. Allerhöchstens gab es dort und da eine protzige Terrassenbrüstung oder am Gartentor den Hinweis auf eine Alarmanlage. Keine Werbeflächen, keine Schaufenster,

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