Das Matrazenhaus
Mutter. Sie war höchstens einen Kopf größer als ihre Tochter, dunkelblond und rundgesichtig und trug eine Latzhose aus Jeansstoff. »Der Abstellraum ist noch auszumalen«, sagte sie entschuldigend, »ich habe die Risse verspachtelt.«
»Hast du deiner Mutter geholfen?«, fragte Sabine Wieck. Das Mädchen schüttelte den Kopf.
»Sondern?«
»Sie hat mit ihren Pokémon-Karten gespielt«, sagte die Frau. Mit Pokémon kenne sie sich nicht aus, sagte Sabine Wieck. »Aber ich«, sagte Kovacs. Alle schauten überrascht. Genau genommen kenne er sich mit einem einzigen Pokémon aus, ob sie wissen wolle, mit welchem. Julia nickte. Mit Relaxo, sagte Kovacs, er habe von einer Schulklasse, der er etwas über die Arbeit der Polizei erzählt habe, einen Plüsch-Relaxo geschenkt bekommen. Das Entscheidende für ihn sei, dass Relaxo eigentlich nur schlafe.
»Stimmt nicht.« Das Mädchen stemmte für eine Sekunde die Hände in die Hüften. Seine linke Gesichtshälfte war auberginefarben, die Abdrücke der Finger sah man aus mehreren Metern Entfernung. »Stimmt nicht, er beherrscht verschiedene Psycho-Attacken.« »Tut das weh?«, fragte Kovacs und deutete auf das Hämatom. Das Mädchen versuchte die Hände wieder hochzuheben. Die Mutter hinderte es daran. Sein Vater habe erzählt, dass es misshandelt worden sei, sagte Kovacs, ob das stimme. Das Mädchen rührte sich nicht. »Sag schon«, drängte der Mann. Die Frau blickte abwechselnd auf ihn und in den Garten hinaus. Es gebe Menschen, die ein Vergnügen daran hätten, Kinder zu schlagen und zu erschrecken, sagte Kovacs, es sei Aufgabe der Polizei, so etwas zu verhindern. »Verstehst du das?« Das Mädchen nickte. »Wie hat die schwarze Glocke ausgesehen?«, fragte Sabine Wieck. Der Mann stand auf, nahm ein Blatt Papier aus dem Regal und reichte es den beiden. Eine einzelne dunkle Welle mit einem runden Kopf obenauf. »War sie groß?«, fragte Sabine Wieck. Das Mädchen nickte.
»Sehr groß?« Das Mädchen nickte noch einmal.
»Größer als Relaxo?«, fragte Kovacs. Das Mädchen blickte hilfesuchend zu seiner Mutter. Die Frau zuckte mit den Schultern.
Kovacs erhob sich plötzlich. »Würden Sie Ihrer Tochter bitte noch einmal sagen, wofür die Polizei da ist«, sagte er zu der Frau. »Zu unserem Schutz«, sagte sie.
»Muss man sich vor der Polizei fürchten?«
»Nein, muss man nicht.«
Kovacs trat auf Julia zu. Er werde ihr jetzt etwas ins Ohr sagen, das für niemand anderen bestimmt sei, sagte er, er wünsche, dass sie es sich anhöre. Die Mutter gab dem Mädchen einen Schubs. Kovacs nahm es an der Hand und ging mit ihm in eine Ecke. »Was tun Sie?«, fragte der Mann. Sabine Wieck hob abwehrend die Hand. Kovacs begab sich in die Hocke und flüsterte dem Mädchen etwas ins Ohr. Das Mädchen flüsterte zurück. »Wir gehen kurz zum Auto«, sagte er dann, »wir müssen etwas holen.« Das Mädchen hatte einen erwartungsvollen Ausdruck im Gesicht, als die beiden den Raum verließen. Die Frau stand reglos auf ihrem Platz. Der Mann saß in seinem Rattanstuhl und wippte mit der Fußspitze. »Ich hoffe, sie hält das aus«, sagte er. »Kinder halten einiges aus«, sagte Sabine Wieck.
»Sind Sie als Kind eigentlich geschlagen worden?«, fragte Kovacs, als die beiden zurückkamen. Der Mann stand langsam auf. »Wie meinen Sie das?«, fragte er. »Wir kennen diese Geschichten«, sagte Kovacs, »man wird geprügelt, Länge mal Breite, die ganze Kindheit hindurch, man nimmt sich vor, es bei den eigenen Kindern nicht zu tun, und dann passiert es doch.« »Wie meinen Sie das?«, wiederholte der Mann. Er war bleich geworden. Seine Frau bewegte sich in kleinen Schritten rückwärts, so dass man es kaum merkte. Frau Weinfurter vom Jugendamt sei schon unterwegs, sagte Kovacs, sie werde der Familie die Beratung organisieren, die sie brauche. Er verbuche die Amtshandlung unter dem Titel Einvernahme nach Selbstanzeige, damit sei sichergestellt, dass die Sache außergerichtlich geregelt werde und er keine Strafe ausfasse. Ob ihm das recht sei. Der Mann sagte nichts. Das Mädchen stand zuerst einige Augenblicke unschlüssig da, dann trat es auf die Mutter zu und sagte halblaut: »Ich geh jetzt rauf.« Die Frau nickte.
Sie habe sich gleich nach der Ankunft des Jugendamtes die Hände waschen müssen, erzählte Sabine Wieck auf der Rückfahrt, noch auf der Toilette dieses Hauses, obwohl die sich auch irgendwie verseucht angefühlt habe. Weder die Einsicht des Mannes habe etwas daran ändern
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