Das Matrazenhaus
Geburtstag. »Geld«, sagte sie, »möglichst viel Geld.«
»Wofür?«
»Für ein Pferd.«
»Und was würdest du heute einem Punk-Mädchen schenken?«
»Geld«, sagte sie. Ob auch für ein Pferd, fragte er und sie sagte, nein, einfach so, Geld gehe immer.
Die Ortsdurchfahrt war halbwegs frei, sie mussten nur den Pony-Express, der jedes Jahr in der Karwoche seine Tätigkeit aufnahm, überholen. Mit Ausnahme eines älteren Paares, das im letzten der drei Waggons saß, war er leer. Sie fuhren das Seeufer entlang in Richtung Mooshaim bis zu einem Weidenwäldchen. Dahinter führte eine schmale Stichstraße den Hang empor auf ein kleines Plateau. »Schöner Blick«, sagte Sabine Wieck, als sie ausstiegen.
Das Haus, ursprünglich eines der für die Gegend typischen Holzknechthäuschen, war offenbar erst jüngst renoviert worden. Die Steinmauern hatte man zur Gänze abgeschlagen und rund um die Fenster neu verputzt und an der Schmalseite hatte man einen großzügig verglasten Zubau angefügt. Jemand, der es schätzt, keine Nachbarn zu haben, dachte Kovacs, und jemand, der gern zu Hause ist. »Schöner Vorgarten«, sagte Kovacs. »Na ja«, sagte Sabine Wieck.
»Wieso na ja?«
Zu exakt, sagte sie, die Rasenbegrenzung, die Anordnung der Rosen, die Pflasterung des Weges zum Biotop – mehr Mathematik als Natur. Er verstehe nichts von Gärten, sagte Kovacs, auf dem Flachdach über seiner Wohnung wachse in einem Holzkübel ein Olivenbaum, das sei alles. Ein Freund habe ihm den Baum zur Scheidung geschenkt – damit er weiterhin etwas zu versorgen habe. »Olivenbäume sind frostempfindlich«, sagte sie und drückte auf die Klingel. Sie kennt sich aus und sie traut mir zu, dass ich ihn erfrieren lasse, dachte Kovacs.
Der Mann trug ein frisch gebügeltes Hemd. Er war klein und dünn, Mitte dreißig und hatte einen kaum verkrusteten Kratzer über der rechten Augenbraue. »Obstbaumschneiden«, sagte er, als er Kovacs’ Blick bemerkte. Er führte sie in den Glasanbau. Sie nahmen in einer funkelnagelneuen Rattangarnitur Platz. »Es ist gut, dass Sie kommen«, sagte der Mann. »Wo ist Ihre Tochter?«, fragte Sabine Wieck. Julia sei mit seiner Frau in ihrem Zimmer. Als sie von der Verständigung der Polizei gehört habe, sei sie gleich noch einmal zusammengebrochen. Was er unter zusammengebrochen verstehe, fragte Sabine Wieck. Der Mann schaute sie groß an. Heulen, Brüllen, Panik, sagte er, man müsse bedenken, sie sei eben erst massiv geschlagen worden.
Julia habe am Vortag eine Schulfreundin besucht, die im Ort wohne, erzählte er, er selbst habe sie kurz nach zwei hingebracht. Sie hätten erst mit der Mutter der Freundin Ostereier bemalt, danach eine Stunde lang auf der Play-Station Pokémon gespielt. Um fünf habe Julia gesagt, sie wolle jetzt nach Hause gehen, und da ihr die Strecke auf dem oberen Promenadenweg, für die man längstens zehn Minuten brauche, absolut vertraut sei, habe man sie gehen lassen. Um halb sechs sei sie dann zu Hause aufgetaucht, in einem desolaten Zustand, verdreckt, Kleider zerrissen, verschwollenes Gesicht. Er habe gedacht, er laufe Amok, habe sie ständig gefragt: Wer war’s? Natürlich habe er sie bedrängt, das sei ihm schon klar, er habe sie an den Schultern gepackt und geschüttelt, aber welcher Vater tue das nicht in so einer Situation. Schließlich habe es ihr herausgestoßen: Die schwarze Glocke , und als seine Frau sie ebenfalls gefragt habe, habe sie es wiederholt. Er sei mit ihr sofort zum Hausarzt in den Ort gefahren. Der Doktor habe keine schweren körperlichen Verletzungen festgestellt, lediglich ein Hämatom an der linken Wange und eins am Brustkorb. Psychisch hingegen sei sie absolut durch den Wind. »Würden Sie sie bitte holen«, sagte Sabine Wieck. Er werde es versuchen, sagte der Mann und erhob sich zögernd.
»Es gibt Menschen, da will man sich die Hände waschen, noch bevor sie den Mund aufmachen«, sagte Sabine Wieck und schüttelte sich. Kovacs war erstaunt über ihre Vehemenz. Er registrierte, dass ihn selbst der Mann völlig kaltließ. Nicht einmal, wenn ich die Geschichte höre, die er über seine Tochter erzählt, bewegt mich das, dachte er. »Weißt du, was komisch ist«, sagte er unvermittelt, »ich glaube, ich habe in meinem Leben noch nie ein Osterei bemalt.«
Das Mädchen, das von der Mutter in den Raum geschoben wurde, hatte die Hände vors Gesicht geschlagen. Der Vater ging vorneweg und setzte sich wieder in seinen Stuhl. »Das ist Julia«, sagte die
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