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Das Matrazenhaus

Das Matrazenhaus

Titel: Das Matrazenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulus Hochgatterer
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zu behalten oder zu löschen, jedenfalls keinem anderen zu zeigen, nur bei dieser einen dürfe sie das wohl nicht. Kovacs warf einen kurzen Blick darauf. Was das heiße, sie dürfe es nicht. »Ich glaube, es ist eine Art Abschiedsbrief«, sagte sie. »Von Ihrem Sohn?«, fragte er.
    »Nein, an ihn«, sagte sie. Dann begann sie zu weinen.
    Kovacs las den Brief zweimal. »Ich verstehe alles, nur die Adresse des Absenders nicht«, sagte er, nachdem sich Gerlinde Weghaupt ein wenig beruhigt hatte. »Dark Fire«, sagte sie, »so heißt sein Instrument. Es ist alles, was er hat.«
    Sie unterhielten sich über die Mitglieder der Band ihres Sohnes, ihre Erwartungen, ihre Verletzlichkeit und ihre Familien, schließlich, wie spröde die fünf gewesen waren, wenn man gesagt hatte, man wolle bei einer ihrer Proben zuhören. Es ist komisch, dachte Kovacs, der eine will sterben und es gelingt ihm nicht, der andere stürzt zu Tode, obwohl er nicht sterben will, und der Abschiedsbrief, den der Erste geschrieben hat, findet weder Erfüllung, noch kommt er rechtzeitig an.
    »Er liegt im Krankenhaus«, sagte Gerlinde Weghaupt. Manchmal habe er sich seltsam verhalten, so, als wolle er mit den anderen Menschen nichts zu tun haben. Sie glaube trotzdem, dass Florian sein bester Freund gewesen sei.
    Er blickte der Frau hinterher. Sie ging langsam und ihre Knie streiften aneinander. Er erinnerte sich, wie sie an der Wand gelehnt war, das Gesicht in der Sonne. Als sie verschwunden war, fiel ihm ein, was Sabine Wieck vorhin im Vorbeigehen gesagt hatte: »Die Antwort ist: ja.«
     

Sechzehn
    Switi ist weg. Ich bin von dieser tausendmal beschissenen Sprachwoche zurück, gehe ins Wohnzimmer und sage: »Switi ist weg.« Die Verrückte schaut mich an und fragt: »Wie nennst du sie?« Ich sage: »Switi«, und sie sagt: »So heißt sie aber nicht.« Ich sage, sie ist meine Schwester und ich nenne sie, wie ich will. Sie sagt: »Sie ist nicht deine Schwester«, und ich sage, natürlich ist sie meine Schwester, was sonst. Sie springt auf und will mich fressen, aber ich bin schneller als sie.
    In ihrem Zimmer ist alles weg: das Puppenhaus, das große und das kleine Einhorn, Betty, das Stoffhuhn, der Elefant, der in Griffweite neben dem Bett stehen muss und nur Elefant heißt, die Schachtel mit den Playmobil-Figuren, die Pinwand mit den Zeichnungen. Das Bett ist abgezogen. Auf dem Kopfpolster sieht man hundert Speichelflecken. Die Matratze ist aus Schaumstoff und diagonal braun-weiß gestreift. Auf ihr sieht man gar nichts. Es war immer eine Kautschukauflage drüber. Ich öffne den Schrank. Er ist leer. Die Kleider sind weg, der blaue Pullover mit den Silberfäden, die karierte Hose, die aussieht wie von einem Clown, der grüne Regenmantel, die Steppjacke mit den Eisbären drauf. Sogar die Badeanzüge sind weg, die Unterhosen sowieso. Ich strecke meinen Arm in das Fach, in dem sie sich manchmal einrollt. Nichts.
    Ich setze mich neben das Bett, dorthin, wo sie immer liegt. »Sei froh, dass du nicht auf Sprachwoche warst«, sage ich. Ich erzähle von diesen gebückt gehenden Gasteltern, von dem Geruch nach Sellerie in ihrem Haus, vom Hund, der ein Rüschenkleid tragen muss, und davon, dass sie mich ständig our little brown girl genannt haben. Ich erzähle von Selina, die sagt, ich habe eine Haut wie die Mondoberfläche, ich rieche komisch und ich spreche mehr indisch als englisch, und von Verena Steinmetz, die Cedric, dem langhaarigen Typen aus der Sprachschule, nachgeschaut hat, als wäre er Gott. Schließlich erzähle ich ihr von dem Tag, an dem mir am Morgen meine Gastmutter vorgehalten hat, wegen meiner Haare sei die Dusche verstopft. Zu Mittag hat mir einer meiner ultranetten Klassenkollegen das Manikürset aus der Tasche gestohlen und während des Nachmittagsausfluges nach Canterbury hat Philipp Denck im Bus neben mir sein Ding ausgepackt – ich glaube, es war eine Wette. Ich stelle mir vor, wie Switi ihren Satz sagt: »Einmal beiße ich hinein, so fest, dass er ab ist«, und wie sie ein wenig lacht und zugleich dreinschaut wie eine alte Frau. Es ist jedenfalls der beste Tag auf diesem super Sprachaufenthalt.
    Als ich runterkomme, ist der, den ich Bill nenne, auch da. Ich sage: »Switi ist weg!«, und noch einmal ganz laut: »Switi ist weg!« Er fragt: »Wie nennst du sie?«, ich sage: »Ich kann meine Schwester nennen, wie ich will«, und er sagt: »Wir haben sie zurückgeschickt. Es ist nicht mehr gegangen.« Er trinkt dabei Wasser aus einem

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