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Das Maya-Ritual

Das Maya-Ritual

Titel: Das Maya-Ritual Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Dunne
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Interviewer: »Und an dieser Stelle müssen wir abbrechen. Ich danke Ihnen beiden.«
    »He, was ist bloß passiert, während ich da unten im Wunschbrunnen war?«, fragte Ken und versuchte, interessiert zu klingen.
    »Frag doch Alice«, erwiderte ich in Anspielung auf einen seiner psychedelischen Lieblingssongs. Ken - oder irgendein chemischer Wirkstoff - hatte schon vor langer Zeit jegliches Interesse an Politik aus seinem Denken gelöscht.
    Er seufzte erleichtert und kippte den Rest seines Biers hinunter. »Du schaffst es allein zum Flughafen?«
    »Ich nehme mir von hier ein Taxi. Der Flug geht um sechs.«
    »Dann mach ich mich mal auf den Weg. Ich muss einen Trupp Leute abholen, die morgen gern in einem Zenote tauchen würden.«
    »Sag ihnen, du hast für diese Woche genug von Zenoten.«
    »Du weißt ja - the show must go on.«
    »Ja, ich weiß«, sagte ich resigniert. »Denkst du, wir erfahren nochmal was über Goldbergs Tod?«
    »Nur, wenn Sanchez einen faulen Scheck sendet und ich ihn nochmal anrufen muss!«
    Ich lachte, während Ken sich von seinem Barhocker schwang und mich umarmte. Ich bemerkte, dass seine Augen rot gerändert waren. »Hat das Wasser deine Augen gereizt?«
    »Nein, das muss das Shampoo gewesen sein. Ich hab garantiert noch nie so viel Zeit unter der Dusche verbracht.«
    »Ich auch nicht«, sagte ich und küsste ihn auf die Wange.
    »Bis bald, Kleine.«
    Wir winkten einander zu, als er die Bar verließ.

8
    Ein gelber Schmetterling erhob sich über die Köpfe der Menschenmenge, die in der brennenden Sonne stand. Während er auf und nieder flatterte, fragte ich mich, wie der zerbrechliche mariposa in dieser Hitze überleben konnte, warum er nicht aufloderte und abstürzte, die zarten Flügel zu Asche verbrannt.
    Es ging auf vier Uhr nachmittags zu, Dr. de Valdivia und ich standen mit einigen Tausend weiteren Besuchern auf dem Platz und blickten zur Pyramide von Kukulkan. Die Eckstufe, die uns am nächsten lag, warf einen gezackten Schatten auf die Nordseite der Pyramide, und die Erregung der Menge war mit Händen zu greifen, als der Schatten langsam an der hochwandigen Steinrampe seitlich der steilen Treppe hinaufkroch, die in der Mitte des Gebäudes emporstieg - ebenjenes Gebäudes, von dem man Goldbergs Körper hinabgeworfen hatte.
    »Die Maya glaubten, Schmetterlinge seien die Seelen der Geopferten«, sagte Dr. de Valdivia und folgte dem scheinbar ziellosen Flug des Falters.
    Ich fand, das war ein untypisch feinfühliger Gedanke für ein Volk, dessen Besessenheit von Blut und Tod mir in der vergangenen Stunde klar geworden war, in der wir verschiedene Teile der Ausgrabungsstätte besichtigt hatten. Aber vielleicht wollte mich auch nur mein Erlebnis im Wasser des Heiligen Brunnens nicht aus seinem klammen Griff entlassen.
    »Vielleicht ist das hier Goldbergs Seele«, sagte ich.
    Das der Öffentlichkeit zugängliche Gebiet von Chichen Itza umfasst sechs Quadratkilometer. Die Nordhälfte, vom Heiligen Brunnen bis zum Gelände um die Pyramide herum, ist jüngeren Datums und in ihrer Architektur und den Steinreliefs aggressiver und kriegerischer.
    Als ich mich der Pyramide eine Stunde zuvor vom Seiteneingang unweit des Hotels genähert hatte, empfand ich sie als anmaßend in ihrer Perfektion und in ihrer Dominanz des gesamten Geländes und des umliegenden flachen Landes. Sie zeugte von Feierlichkeit, als wäre das Gebäude selbst in ein starres Ritualgewand gehüllt, wie es ein Priester getragen haben mochte, die Stufen, die in der Mitte aller vier Seiten emporführten, waren wie eine plissierte Brustdekoration, und oben am Hals war das Kostüm zu einem steifen Kragen zusammengerafft - dem Tempel auf der Spitze.
    Ich lauschte eine Weile dem Vortrag eines Führers darüber, wie besessen die Maya von Zeitmessung waren und wie sich diese Besessenheit in jedem Aspekt der Pyramide hinter ihm verbarg. Die vier Treppen, von denen man jeweils in eine Haupthimmelsrichtung blickte, umfassten insgesamt dreihundertfünfundsechzig Stufen - die Anzahl der Tage im Jahr. Es gab achtzehn Querreihen auf jeder Seite der Pyramide - die Anzahl der Monate auf einer Sonnenuhr, die sie ebenfalls benutzten; zweiundfünfzig Felder in den Stufen - die Anzahl der Jahre in ihrem Kalenderzyklus - und so weiter. Ich entfernte mich, und die Stimme des Fremdenführers verebbte zu einem monotonen Brummen. Ich wurde an einen Sprechgesang erinnert, den mein Vater sehr liebte und der Das Kartenspiel hieß. Darin stellen sich die

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