Das Maya-Ritual
»Er führte seit vielen Jahren keine Korrespondenz mehr mit der Kanzlei, und natürlich gab es Personalwechsel…«
»Aber Sie konnten die Anweisungen für seine Beisetzung auf der Stelle finden - fast schon beunruhigend schnell für ein Anwaltsbüro.« Und gar für ein mexikanisches, dachte ich im Stillen.
»Nun ja, die Polizei, verstehen Sie… Man bat uns, sagen wir, die Sache zu beschleunigen, seine Akte rasch ausfindig zu machen. Da Senor Arnold Amerikaner war, mussten wir möglicherweise seine nächsten Verwandten benachrichtigen oder Vorbereitungen dafür treffen, seinen Leichnam außer Landes zu fliegen. Und, äh, Sie wissen ja, wie die Dinge im Augenblick stehen.«
»Wieso war die Polizei eingeschaltet?«
»Weil das Krankenhaus keine Angehörigen verständigen konnte, als er starb. Außerdem musste die Polizei den konsularischen Vertreter der USA unterrichten, das ist die übliche Praxis, wenn ein Bürger Ihres Staates in unserem Land stirbt…«
»Wie wurde er ins Krankenhaus befördert?«
»Mit der Ambulanz. Das Dienstmädchen, das ihn gefunden hat, hat den Notdienst angerufen.«
»Wo wohnt sie? Ich möchte mit ihr reden.«
»Ich weiß es nicht.«
»Vielleicht wird sie in Senor Arnolds Akte erwähnt. Soviel ich weiß, war ihr Vorname Maria, und sie hat für ihn gearbeitet, seit er sich in Cancun niederließ. Vielleicht hat er ihr in seinem Testament etwas vermacht.«
»Ach ja, das Testament. Ich darf den Inhalt eines Testaments nicht offen legen, bevor der Rechtsanspruch auf bestimmte Besitztümer geklärt ist. Sie müssen verstehen, dass nach mexikanischem Recht ein fremder Staatsbürger Besitz in einem Küstengebiet nur mithilfe eines juristischen Instruments namens fidei comiso erwerben darf, und wir müssen nun sicherstellen, dass -«
»Ich will nicht wissen, was in dem Testament steht«, unterbrach ich ihn. »Ich will nur sehen, ob sich Name und Adresse des Dienstmädchens darin finden. Sie haben es fertig gebracht, ihn in Rekordzeit zu verbrennen, vielleicht können Sie mir noch einmal beweisen, wie eine flotte Anwaltskanzlei arbeitet… das heißt, falls Sie Senor Arnold tatsächlich vertreten.«
Marrufo hüstelte nervös, dann drückte er einen Knopf der Sprechanlage auf seinem Schreibtisch und bat eine Sekretärin auf Spanisch und in schroffem Ton um die Information. Er schrieb alles in einen Notizblock, riss die Seite heraus und reichte sie mir über die Tischplatte.
»Maria Kuyoc«, sagte er. »Sie wohnt ein kurzes Stück außerhalb der Stadt. An der Straße nach Playa del Carmen.«
»Gracias, Senor Marrufo.«
»Ich kenne mich in der Gegend ungefähr aus. Hinter der Universität sind gerade Rodungsarbeiten im Gang, dann sehen Sie ein paar Reklametafeln - und nach denen biegen Sie links ab.«
Draußen auf der Straße rief ich vom Handy des Tauchclubs Deirdre an, die mein eigenes bei sich hatte. Ich hatte ihr vorgeschlagen, mit dem Bus ins Hotelviertel von Cancun hinauszufahren, damit sie einen Eindruck davon bekam, und dann wieder in die weniger gut betuchte, aber auch nicht so teure Stadtmitte zu kommen, wo sie ihre Einkäufe erledigen konnte. Dort war wenigstens ein Hauch von Mexiko zu spüren.
»Hallo, Deirdre. Ich habe herausgefunden, wo das Dienstmädchen wohnt. Es liegt auf unserem Weg zur Fähre. Aber wir müssen ein Taxi nehmen. Wo bist du gerade?«
»Ich schaue gerade auf ein Hotel hinaus, das wie eine komplette Mayastadt aussieht. Ich verstehe einfach nicht, wieso Leute eine weite Reise unternehmen, um sich dann die ganze Zeit in so einer Anlage zu verschanzen.«
»Und ich verstehe nicht, wieso jemand die weite Reise macht und sich dann keine echte Mayastadt ansieht.« Aus irgendeinem Grund zeigte Deirdre keine Neigung, eine der Ruinenstädte auf der Halbinsel zu besichtigen.
»Touché«, sagte sie. »Aber wir haben ja noch ein paar Tage.«
»Du musst nur was sagen. Und jetzt - Lust auf Shopping?«
»Eigentlich nicht. Es ist zu heiß, und ich habe immer noch einen leichten Kater. Macht es dir etwas aus?«
»Kein Problem. Wir gehen einfach etwas essen, und dann fahren wir zu Maria hinaus.«
»Wo treffen wir uns?«
»Nimm den Bus zu McDonald’s am oberen Ende der Hauptstraße, in der Nähe des Bahnhofs, wo wir ankamen.«
»Hm… Ich esse nicht bei McDonald’s. Als ich das letzte Mal in der Nähe von einem war, habe ich einen Stein ins Fenster geschmissen. Wahrscheinlich haben sie mein Bild im Computer.«
»Wann war das?«
»Bei den Protesten gegen die
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