Das Maya-Ritual
als eine verdammte Touristin hier auf Cozumel bist.«
Es wurde absolut still.
Als Erste sprach Deirdre. »Du hast Recht, Jessica«, sagte sie. Sie wusste, ich war ernstlich wütend auf sie. »Ein sehr berechtigtes Argument.«
»Wie wahr«, stimmte Phil zu und schaute dumm aus der Wäsche. »Wir haben uns wohl ein bisschen hinreißen lassen.«
»Kommt, wir trinken einen«, schlug Ruben vor. »Geht aufs Haus.«
»Nein, danke, nicht für mich«, sagte ich.
Deirdre kam zu mir herüber. »Es tut mir wirklich Leid«, sagte sie. »Das war daneben von mir, vor allem wenn man bedenkt, was sich zurzeit abspielt.«
»Hey, hört euch das an, Freunde«, rief Phil aus. Er hielt Deirdres Führer in der Hand und hatte offenkundig etwas entdeckt, um uns vom vorherigen Thema abzulenken. Er formte mit der anderen Hand einen Trichter, legte sie an den Mund und begann hineinzuschreien, wobei er seine Stimme verstellte, als käme sie aus einem Megafon. »Und hier ist die Startaufstellung - Jaguarpfote, Sturmhimmel, Rauchender Frosch und Lady Zoc. Sie sind gestartet - Rauchender Frosch übernimmt die Führung, vor Sturmhimmel und Jaguarpfote… und die fantastische kleine Stute Lady Zoc ist an die vierte Stelle vorgerückt, jetzt, wo es auf die erste Hürde zugeht…« Phil brach ab und sagte: »Vielleicht haben wir hier das Rätsel der Mayakultur.« Er ließ eine Pause entstehen. »Wer gewann das fünfte Rennen in Chichen Itza?«
Wir lachten alle. Die gute Laune kehrte zurück.
»Worin besteht das doofe Rätsel eigentlich?«, fragte Deirdre.
Phil gab die Antwort. »Ich glaube, es geht um die Frage, warum die Maya, die tausend Jahre lang großartige Städte bauten, irgendwann einfach aufhörten und alles vom Dschungel überwuchern ließen. Die Namen, die ich vorgelesen habe, waren übrigens die Herrscher von einigen dieser Städte. Aber fragt mich nicht, wie man sie in der Mayasprache ausspricht.«
»He, Alfredo«, sagte Deirdre und nahm Phil das Buch weg, »gib uns doch eine Vorstellung davon, wie die Herrschernamen in Wirklichkeit klangen.« Sie blickte auf die Seite hinab, die sie mit dem Daumen offen gehalten hatte. »Hier sind ein paar - Yax Moch Xoc, Yik’in Chan K’awil…« Es war schwer zu sagen, ob sie die Namen verstümmelte oder nicht, ehe wir sie von Alfredo hören würden. Ich bemerkte, dass er nun Alkohol trank, was mir nicht gefiel, da er eigentlich später noch arbeiten sollte.
»Ihr wisst, wie es die Maya machen, wenn sie einen Namen für ein neugeborenes Kind brauchen?«, fragte Ruben, während Deirdre Alfredo den Reiseführer gab.
»Nein.«
»Der Vater wirft einen Stein einen Abhang hinab, und das Geräusch, das der Stein macht, das wird der Name des Kindes, ha, ha, ha.«
»Ha, ha«, wiederholte Alfredo, alles andere als belustigt.
»Ach, natürlich, du bist ja ein Maya«, sagte Ruben.
»Deinem Namen hört man das aber nicht an.«
»Mein Nachname ist Yam, klingt das genügend nach Maya für dich? Findet das deinen Beifall?«
»Und wie kam es wohl zu diesem Namen? Hört sich an, als hätte dein Vater statt eines Steins die Nachgeburt den Hang hinabgeworfen, ha, ha.« Irgendwie waren wir wieder in Vorurteile und Beleidigungen gestolpert.
»Siehst du, was ich meine«, flüsterte Deirdre Alfredo zu.
»Diese Mexikaner haben keinen Respekt vor dir.«
»Wenigstens wusste meine Mutter, wer mein Vater war«, sagte Alfredo gekränkt zu Ruben.
»Viva la Republica!«, tönte Ruben und starrte Alfredo in die Augen.
»Viva el mundo Maya«, konterte Alfredo, jedoch ohne Überzeugung.
»Viva la patria!«, plärrte Ruben die Version seines Vaterlands, die in patriotischen Reden gebräuchlich war.
»Viva Aztlan!«, rief Alfredo triumphierend, als wusste er, dass Ruben sein Pulver verschossen hatte, und er hätte soeben eine tödliche Salve zurückgefeuert.
Aber alle, einschließlich Ruben, sahen verwirrt aus.
»Aztlan?«, fragte Phil. »Wo ist das denn?«
»Das ist das Mexiko, wie es sein wird, wenn wir uns die Territorien zurückholen, die wir 1848 dummerweise den Amerikanern überließen«, erwiderte Alfredo.
»Viva Aztlan!«, schrie Ruben aus vollem Hals.
Wir waren wieder bei den Sünden der USA. Ich beschloss, zum Laden zurückzugehen, bevor sich Ruben und Alfredo in einem Anfall brüderlicher Vaterlandsliebe in die Arme fielen. Ich hatte für die kommende Nacht etwas vor.
23
Es war dunkel, als das Taxi, das ich mir am Fährhafen von Playa del Carmen genommen hatte, vor einem schmiedeeisernen Tor
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