Das Maya-Ritual
Freunde bei einem Wiedersehen.
»Nur zu wahr«, stimmte Phil zu, seinen australischen Akzent betonend.
Darauf ließ sich Ruben weiter über einen Punkt aus, auf den sie sich offenbar gerade geeinigt hatten. »Letzte Woche hatte ich einen Gringo hier, der sich beschwerte, dass das Meerwasser zu salzig sei - ist das zu fassen?«
»Weißt du, dass Amerikaner auf diesen Kreuzfahrten ihr Trinkgeld im Voraus bezahlen müssen?«, sagte Phil.
»Andernfalls würden sie keinen Peso lockermachen.«
»Meistens weigern sie sich, mir einen Dollar dafür zu zahlen, dass sie hier alles benutzen dürfen.«
»Knickrige Scheißtypen.«
»Das reicht jetzt aber, Leute«, sagte ich und wunderte mich, wieso die Amerikaner plötzlich zum gemeinsamen Feind geworden waren. Die beiden Männer schienen verblüfft zu sein, dass ich ihre Tirade unterbrach.
»Vielleicht bin ich zurzeit ja ein bisschen empfindlich bei diesem Thema«, ich hielt die Zeitung hoch, damit die zwei sie sehen konnten, »falls ihr wisst, was ich meine.«
»Aber nein, Senorita Madison«, sagte Ruben und löste sich aus Phils Umarmung. »Sie waren doch nicht gemeint, Sie sind ja nicht typisch.«
»Typisch für was?«
»Es geht um Touristen, oder?«, meldete sich Deirdre, die mit ihrem Buch wieder unter die palapa zurückgekehrt war. »Die sind überall auf der Welt gleich.«
»Ja, Sie haben Recht«, sagte Ruben. »Und nicht nur norteamericanos, auch Japaner, Deutsche…«
»Die verdammten Briten«, vervollständigte Phil die Litanei.
Ich war sprachlos vor Bestürzung. Zwar bezweifelte ich nicht, dass diejenigen unter uns, die in der Tourismusbranche arbeiteten, gelegentlich Grund zur Klage über die Fehler der Besucher hatten, aber das hier war hemmungslose Fremdenfeindlichkeit. Und was man auch von Deirdres Ansichten halten mochte, sowohl Ruben als auch Phil verdienten ihr Geld mit dem Tourismus. Ich sah zu Alfredo, um dessen Reaktion zu beobachten.
»Die mexikanische Regierung will weitere Cancuns schaffen«, sagte er bedrückt.
An diesem Punkt wurde mir klar, dass Deirdre und die anderen wahrscheinlich nicht ahnten, dass Alfredo an der Universidad Mayab Tourismus studiert hatte und hoffte, seinen Lebensunterhalt mit genau den Leuten zu verdienen, über die sie so viel ätzende Kritik ausgossen.
»Aber ist es nicht besser, sie alle an Orten wie Cancun zusammenzupferchen, als sie über euer ganzes Land krabbeln zu lassen«, sagte Deirdre, als beschriebe sie Ungeziefer.
»Als eine Form von Schadensbegrenzung«, ergänzte Phil.
»So könnte man es nennen«, bestätigte Deirdre.
»Wusstet ihr, dass durch den Petersdom in Rom so viele Touristen laufen, dass als Folge davon ein bestimmter Typ Pilz an den Wänden wächst?«
»Ganz schön ekelhaft«, sagte Phil. »Aber nicht nur europäische Bauwerke sind betroffen. Was ist mit Machu Picchu in Peru? Noch abgelegener geht’s wohl nicht, und doch ist es bedroht, weil jetzt Seilbahnen Tausende mehr Touristen dort abladen, als der Ort verträgt.«
»Das stimmt«, sagte Deirdre. »Ich glaube, dieser so genannte Ökotourismus ist der schlimmste von allen - die Leute trampeln in Weltgegenden herum, die man in Ruhe lassen sollte.« Unverhohlen zeigte sie ihre Verachtung für das Geschäft, auf das sich ihr Bruder mit seiner amerikanischen Frau eingelassen hatte.
»Und ich sage euch, der Tag ist nicht mehr fern, an dem Kriege deswegen geführt werden.«
»So etwas wie… Ökokriege?«, fragte Alfredo. »Aber wer wird sie führen?«
»Viva la Republica!«, rief Ruben, der von seinem eigenen Schnaps betrunken wurde und dem Ganzen nicht mehr folgen konnte.
»Ich weiß nicht. Vielleicht werden kleine Gruppen Sabotageakte durchführen, wie es die Franzosen in Neuseeland gegen Greenpeace versucht haben. Versenk ein Schiff, und du versenkst die Bewegung. Und bekenne dich nicht dazu.«
»Wieso nicht?«
»Weil es auf die Botschaft ankommt, nicht auf die Unterschrift. Und die Leute, die es angeht, werden die Botschaft ziemlich schnell kapieren.« Es klang, als würde sie Slogans für Globalisierungsgegner texten.
Ich hatte genau zugehört und rief von der anderen Seite der Bar hinüber. »Mein Gott, Leute, ihr solltet euch reden hören. Wie haltet ihr das nur aus? Ruben und Phil - ihr verdient beide euren Lebensunterhalt mit Touristen, richtig? Alfredo hofft auf eine Karriere in der Branche, und Deirdres Bruder arbeitet ebenfalls in dem Geschäft.
Aber der Gipfel deiner Scheinheiligkeit, Deirdre, ist, dass du selbst
Weitere Kostenlose Bücher