Das Maya-Ritual
freundlich gegenüber meinem Vater waren, aber…« Er war sich noch immer unsicher.
»Papa!«
Ich fuhr herum und sah ein Mädchen im Teenageralter in der Tür stehen. Es hatte nach hinten gekämmtes Haar, große, feuchte Augen und hohe Wangenknochen. Bartolomés Familie rief ihn zum Mittagessen.
»Si, si, Paloma«, sagte er mit der gequälten Duldsamkeit eines Vaters, der es gewohnt ist, von seinen Kindern herumkommandiert zu werden. »Also gut, Senorita Madison.« Er legte das Bündel Papiere in den Aktenkoffer zurück und übergab ihn mir.
Als ich mich wieder umdrehte, war Paloma verschwunden.
»Was würde ich nur anfangen, wenn meine Töchter nicht ein bisschen Ordnung in mein Leben brächten?« Bartolomé lächelte, als wir zusammen den Raum verließen.
Während wir den Flur entlanggingen, sagte ich: »Eins wüsste ich gerne - hat man Ken und mich vorsätzlich in Gefahr gebracht, als man uns bat, Goldbergs Kopf zu suchen?«
Bartolomé verstand die Frage: Hatte sein Vater gewusst, dass der Heilige Brunnen infiziert war?
»Nein«, antwortete er mit Nachdruck. »Sanchez verließ sich inzwischen auf meinen Vater, er hatte gesehen, dass er ihm trauen konnte. Und nun hatte er ein neues Problem - einen in einer Mayastätte ermordeten Amerikaner. Also rief er wieder meinen Vater hinzu. Das ist der ganze Zusammenhang.«
»Glauben Sie das wirklich? Ihr Vater schien hinterher sehr an unserem Gesundheitszustand interessiert zu sein.«
»Wahrscheinlich, nachdem er den Kopf des Toten untersucht hatte, oder?«
Das stimmte, wenn ich mir die Reihenfolge der Ereignisse ins Gedächtnis rief. »Da haben Sie wohl Recht«, sagte ich.
»Also dürfen Sie ihm keine Schuld geben. Er wähnte Sie nicht in Gefahr, weil er sich in einem Punkt irrte. Er dachte, das Wasser unter dem Yukatan würde zum Golf hin fließen, vom Ort des Ausbruchs gesehen in die entgegengesetzte Richtung von Chichen Itza. Ich weiß das, weil er mich anrief, um sich zu vergewissern.«
Jetzt fiel es mir wieder ein. Als Höhlentaucherin hatte ich es vor langer Zeit einmal gelernt und wieder vergessen. »Aber das stimmt natürlich nicht, es fließt nach Osten.«
»So ist es. Zur Karibik.«
36
Auf der Rückfahrt über den Highway 180 überlegte ich, warum Bartolomé wegen der letzten Worte seines Vaters wohl so nervös gewesen war. Hatte er befürchtet, dass sie eine Enthüllung über ihn oder seine Familie enthielten? Vielleicht hatte er mich deshalb während meines Besuchs von ihr fern gehalten. Bartolomé war ein charmanter und interessanter Mann, aber seine Nervosität verriet irgendeine geheime Furcht.
Ich konnte akzeptieren, dass Dr. de Valdivia erst nach der Untersuchung von Goldbergs Gewebeproben den Verdacht hegte, der Heilige Brunnen könnte verseucht sein. Aus diesem Grund hatte er sich später am gleichen Tag nach unserem Befinden erkundigt. Aber da er zweifellos unter dem Druck stand, die Rückgabe von Goldbergs Leichnam nicht unnötig zu verzögern, war er nicht in der Lage gewesen, diesen Verdacht durch eine mikroskopische Analyse zu bestätigen.
Zweifellos hatte er Sanchez zu diesem Zeitpunkt seine Befürchtungen mitgeteilt, es konnte also sein, dass wir seither unter polizeilicher Beobachtung standen, ohne dass Dr. de Valdivia notwendigerweise darüber informiert war. Immerhin arbeitete bereits Dr. Flores in der Clinica Cancun für die Behörden und der Anwalt Marrufo ebenfalls - beide hatten daran mitgewirkt, Kens wahre Todesursache geheim zu halten.
Ich begann mich zu fragen, ob Dr. de Valdivia etwa gestorben war, weil er um den Ursprung und die Verbreitung von Amhakimil wusste, und nicht, weil er die Geiseln zu retten versucht hatte. Oder gab es zwischen beidem einen Zusammenhang?
Die Theorie, dass möglicherweise ein tödliches Gift aus den Tiefen der Erde aufgetaucht war, würde ich unbedingt an Herbie Kastner weiterleiten, sobald ich zu Hause war. Zuerst aber musste ich nach Cancun fahren und den Land Cruiser in der Garage abstellen. Und vorher, dachte ich mir, könnte ich noch in der Clinica Cancun vorbeischauen und Dr. Flores einen Besuch abstatten, nun, da ich mit dem Nachweis bewaffnet war, dass eine durch Wasser übertragene Infektion Ken Arnold getötet hatte.
Auf einem langen, geraden Streckenabschnitt ohne Verkehr schaltete ich mein Handy ein. Es piepte einige Male in rascher Folge. Ich hatte eine Textnachricht. Die Nummer erkannte ich - es war die meines privaten Handys, die Nachricht kam also von Deirdre.
BITTE
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