Das Maya-Ritual
Luis Walter Alvarez 1980 vermutet hatten, ließ sich nun vielleicht bestätigen.«
»Aber warum war Ihr Vater darüber so aufgeregt?«
Bartolomé knipste mit einem silbernen Schneidegerät die Zigarrenspitze ab. »Was ihn interessierte, war nicht das Massensterben. Sondern ein Muster, das er Jahre zuvor in der Landschaft beobachtet hatte - dass es nämlich in einem Halbkreis um Mérida herum Hunderte von Zenoten gibt. Nun hatte er eine Erklärung dafür. Sie lagen auf dem Kraterrand und folgten exakt dessen Linie.«
»Ja und?«
»Das heißt, obwohl sich das unterirdische Flusssystem des Yukatan mit seinen Verbindungen und Höhlen in der Kalksteindecke bildete, die sich lange nach dem Einschlag des Objekts ablagerte, besteht irgendeine Verbindung zwischen dem System und dem Krater darunter. Dies führte meinen Vater zu einer interessanten hydrologischen Theorie. Sie beruht eher auf Intuition als auf gesicherten empirischen Daten, aber sie ist nichtsdestoweniger beeindruckend.«
»Für Sie als Geologen, meinen Sie.«
»Ja. Und besonders für einen Geologen, der das Verhalten von Flüssigkeiten in Tiefengestein studiert hat - Öllagerstätten natürlich, aber auch Grundwasserreservoire…« Er nahm ein silbernes Feuerzeug aus der Tasche und zündete die Zigarre an. »… das, was wir Wasseradern nennen.«
»Was besagte seine Theorie?«
Bartolomé stieß eine Wolke weißen Rauchs aus. »Dass in Dürrezeiten der Wasserspiegel in den Zenoten sehr lange hoch bleibt - weil aus tieferen Schichten Wasser nach oben dringt, aus einem riesigen Wasserreservoir im Krater, das jahrhundertelang ungestört bleibt, aber in geologischer Zeit wahrscheinlich viele Male zirkuliert ist.«
»Und was bedeutet das?«
»Die Geschichte der Maya war eng mit ihrer Wasserversorgung verknüpft. Dürre konnte ihr Überleben ernsthaft gefährden. Deshalb mutet ihre Entscheidung, weiter nach Norden, in eine scheinbar wasserlose Gegend, zu wandern, auf den ersten Blick sonderbar an. Es sei denn, man zieht die Theorie meines Vaters mit ins Kalkül.«
»Der zufolge die Zenoten in Dürrezeiten voll Wasser blieben.«
»Ja - aber das hatte seinen Preis.«
»Und welchen?«
»Er spekulierte, dass das Wasser, das aus dem Krater aufstieg, einen krankheitserregenden Organismus enthielt.«
»Aus dem Weltall, meinen Sie?« Ich hatte das Gefühl, wir bewegten uns am Rand von Science-fiction.
»Nicht unbedingt. Er könnte in der Erde selbst existiert haben, in Tiefengestein, das von dem Einschlag abgesprengt wurde. Dadurch kam es in Kontakt mit der Oberfläche, die ihrerseits schließlich von einer Schicht porösen Kalksteins bedeckt wurde.«
»Warum haben sich die Zenoten entlang des Kraterrandes gebildet? Warum nicht im Zentrum der Einschlagstelle?«
»Stellen Sie sich diesen Teil Yukatans wie einen Apfelkuchen vor. Das Kalksteinplateau ist der Teig, der den wasserhaltigen Fels und die Sedimente bedeckt. Und was geschieht mit einem Apfelkuchen beim Backen? Die Säfte im Innern versuchen zu entweichen, richtig? Es gibt aber nur eine Stelle, wo sie austreten können, und das ist um den Rand herum, wo der Teig an der Einfassung haftet.«
»Und so wird der Ring der Zenoten kontaminiert.«
Bartolomé nickte und blies neuen Zigarrenrauch in die Luft.
»Und das gesamte unterirdische Wassernetz ist bedroht. Die Maya lernten die Gefahr schließlich kennen und versuchten, sie zu besänftigen. Meinem Vater zufolge könnten daraus sogar bestimmte Formen von Opfern entstanden sein.«
»Und konnte er irgendetwas von alldem beweisen?«
»Er war sehr nahe dran. Denn in letzter Zeit konnten zwei weitere Puzzleteile eingesetzt werden. Das erste war die Bedeutung der Hieroglyphen und Illustrationen im älteren Abschnitt des Chilam-Balam- Buches in seinem Besitz. Das zweite lieferte die Geologie, und wiederum konnte ich ihm die gute Nachricht überbringen - im nördlichen Yukatan genommene Bohrproben bestätigten einen zweihundertjährigen Dürrezyklus, der mit der Sonnenaktivität zusammenhängt. Alles, was er jetzt unglücklicherweise noch brauchte, war ein Ausbruch der Krankheit, was seit zweihundert Jahren nicht mehr passiert war. Dann erhielt er zu Beginn dieses Jahres, im Februar, glaube ich, einen Anruf von Sanchez. Eine Reihe mysteriöser Todesfälle in einem Dorf im Landesinnern, südlich von Mérida. Man vermutete vergiftetes Wasser aus einem Zenote und bat ihn, die Leichen zu untersuchen.«
»Und genau darauf hatte er gewartet. Aber wieso wurde Ihr
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