Das mechanische Herz
prallte. Der Aufprall presste ihr die Knie an die Brust, bis ihr die Luft wegzubleiben drohte. Hastig riss sie die rechte Hand aus der Flügelschlaufe, tastete nach der Halterung an der Seite des Wagens.
Eine Hand schoss aus dem Kabinenfenster und packte ihren Schulterriemen. Taya sah auf. Aus dem Fenster starrte sie mit weit aufgerissenen Augen eine Frau panisch an – aber die ringgeschmückten Hände hielten Tayas Schulterriemen, als seien sie aus Eisen.
Atemlos nickte Taya der Fremden ihren Dank zu. Sie hatte die Klinke gefunden. Die Frau ließ sie los, und Taya riss die Kabinentür auf, klammerte sich am Türrahmen fest. Sie zuckte zusammen, als ihre Ondiumflügel seitlich gegen die Kabinenwand prallten.
„Nimm Ariq“, sagte die Dame mit zitternder Stimme. Sie zog den kleinen Jungen, der neben ihr hockte, von seinem Sitz. „Rette ihn.“
Ariq schrie, starrte fassungslos Taya und die große Schutzbrille vor ihrem Gesicht an, versuchte, sich loszureißen. Er konnte nicht älter als vier Jahre sein – sein rundes Gesicht war noch nackt, trug keine Kastenzeichen.
„Ich habe ihn“, sagte Taya. Sie stemmte die Fußspitzen in den Türrahmen, um sicherer zu stehen, während sie der Mutter den Jungen abnahm. Sie ignorierte die Schreie des Kindes, presste es an ihren Bauch und zog die Sicherheitsleine zwischen seinen Beinen und unter den Armen hindurch, wie sie es bei ihren Rettungsübungen gelernt hatte. Was bei einem sich wild wehrenden Kleinkind wesentlich komplizierter war als bei der ausgestopften Puppe, mit der sie damals geübt hatten. „Ich komme so schnell wie möglich zurück.“
Die Mutter nickte. Sie war kreidebleich. Ihre Kastenzeichen – blaue, auf beiden Wangen eintätowierte Wellen – bildeten einen scharfen Kontrast zur Blässe des übrigen Gesichts. Die Frau hatte ihre Ebenholzmaske fallen lassen, ebenso, um die Arme freizubekommen, die schwere, juwelenbesetzte Robe, die sie sonst in der Öffentlichkeit trug.
Taya sicherte den verschreckten Jungen an ihrem Harnisch und schob den Arm zurück in den Flügel.
Mit einem erneuten heftigen Ruck sackte die Kabine ein paar Meter tiefer. Der Träger bog sich immer gefährlicher, weitere Kabel rutschten aus ihren Halterungen. Die Frau schrie. Taya ließ sich fallen.
Einen kurzen, übelkeitserregenden Moment lang befand sie sich im freien Fall, ehe es ihr gelang, sich zu drehen und die Flügel auszubreiten. Ein Ruck ging durch ihren Körper, während Ondium und Aufwinde einen heftigen, siegreichen Kampf mit der Schwerkraft austrugen. Der Junge schrie vor Entsetzen lange und laut.
Hauptstation Sechs mit ihren Ingenieuren lag am nächsten. Taya schlug wild mit den Flügeln – lahme Ente hin oder her, auf ihre Würde konnte sie nun wirklich nicht mehr achten. Jetzt dachte sie nur noch an maximale Fluggeschwindigkeit, an Aufwinde, die sie brauchen und nutzen konnte, um das unvertraute, heftig um sich schlagende Gewicht an ihrer Körpermitte auszugleichen. Ihr Ziel war ein solider, metallener Landeplatz einige Meter unterhalb des gefährdeten Pfeilers.
Die Arbeiter dort hatten sie bereits entdeckt und reckten ihr die Arme entgegen. Sie ließ sich zu ihnen hinunterfallen und bremste, bis die Männer sie bei den Beinen und am Geschirr packen und zu sich herunterziehen konnten. Die Flügel hoch über dem Kopf verharrte sie keuchend so reglos wie möglich, während die Arbeiter rauh, aber effizient für eine gewisse Stabilität sorgten. Ariq heulte erneut auf, als ihn die Männer aus den Riemen und Schnallen lösten, mit denen er an Taya gesichert gewesen war, um diese dann hastig in Tayas Geschirr zurückzustopfen.
„Da oben ist noch jemand!“, rief einer der Arbeiter, woraufhin alle ängstlich hinaufschauten. Noch hielten die Zahnräder und Verstrebungen. Noch!
„Ich weiß!“ Taya wartete, bis sie Ariq in sicheren Händen wusste, ehe sie sich umdrehte und vom Landeplatz abstieß, während alle anderen sich duckten, um ihren Schwingen zu entgehen.
Inzwischen hatte noch ein Ikarier die gefährdete Gondel entdeckt und kreiste hoch über ihr, sichtlich auf der Suche nach einem sicheren Weg, sich ihr zu nähern. Taya schwang sich empor, sackte ab, als eine unerwartete Böe sie seitlich erwischte, fing sich wieder. Der zweite Flieger sah sie und winkte zum Gruß mit den Flügeln.
Taya war erleichtert. Nun kämpfte sie nicht mehr ganz allein, nun stand Unterstützung zur Verfügung. Erneut steuerte sie die Kabine an.
Die Erhabene stand im Türrahmen
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