Das Meer Der Lügen: Ein Lord-John-Roman
windstiller Abend Mitte August. Zwar hing die heiße, feuchte Luft wie eine erdrückende Decke über London, doch so dicht am Wasser wehte etwas, das fast eine Brise war.
Ein wenig flussaufwärts konnte er die Vauxhall Bridge sehen, die so voller Zuschauer war, dass die Brücke selbst ein lebendiges Wesen zu sein schien, das sich über dem sanft schimmernden, dunklen Fluss wand und krümmte. Dann und wann wurde eine angetrunkene Person von der Brücke geschubst und landete unter dem begeisterten Gejohle ihrer Kameraden platschend wie eine Kanonenkugel im Wasser.
Noch war die Stadtvilla nicht ganz so überfüllt, aber nur gemach, dachte Grey, während er seiner Mutter hinein folgte, um weitere Neuankömmlinge zu begrüßen. Die Musiker am anderen Ende des Zimmers waren gerade mit dem Aufbauen fertig; sie würden auch die Falttür zum Nebenzimmer öffnen müssen, um Platz zum Tanzen zu schaffen - obwohl die Gäste erst nach dem Feuerwerk damit beginnen würden.
Die Temperaturen hielten die Londoner nicht davon ab, die Nachricht von Clives Sieg bei Plassey zu feiern.
Seit Tagen flossen die Wirtshäuser vor Kundschaft über, und die Leute riefen sich auf der Straße herzliche Begrüßungen zu, in denen sie die Vorfahren, das Aussehen und das Benehmen des Nawabs von Bengalen zur Hölle wünschten.
»Missgeborener schwarzer Schurke!«, bellte der Herzog von Cirencester beim Eintreten und tat damit die Meinung seiner Mitbürger von Spitalfields bis Stepney kund. »Schiebt ihm eine Rakete in den Hintern und seht zu, wie weit er fliegt, bevor er explodiert, was? Benedicta, meine Liebste, kommt und gebt mir einen Kuss!«
Die Gräfin, die vorausschauenderweise durch mehrere Gäste vom Herzog getrennt war, blies ihm einen Handkuss zu, bevor sie an Mr. Pitts Arm verschwand, und Grey lenkte das überschäumende Temperament des Herzogs taktvoll zur Witwe des Vicomte Bonham um, die wunderbar in der Lage war, mit ihm fertig zu werden. Hieß der Herzog mit Vornamen Jacob?, fragte er sich dumpf. Ja, er glaubte schon.
Von den weiteren Probeschüssen vom Tower Hill wurde kaum Notiz genommen, da der Geräuschpegel aus Stimmen und Musik mit jeder neu geöffneten Flasche Wein, mit jedem ausgeschenkten Becher Rumpunsch zunahm. Selbst Jack Byrd, der seit ihrer Rückkehr so schweigsam gewesen war, dass es an Stummheit grenzte, schien aufgeheitert zu sein; Grey sah, wie er einem jungen Dienstmädchen zulächelte, das mit einem Berg von Umhängen vorbeikam.
Tom Byrd, der aus gegebenem Anlass mit einer ordentlichen Livree ausgestattet worden war, stand neben der Bambuswand, hinter der die Nachttöpfe verborgen
waren. Er hatte den Auftrag, die Gäste zu beobachten und Diebstähle zu verhindern.
»Augen auf, vor allem, wenn das Feuerwerk richtig beginnt«, murmelte Grey ihm im Vorübergehen zu. »Wechselt Euch mit Eurem Bruder ab, damit Ihr auf die Terrasse gehen und auch ein wenig zusehen könnt - aber achtet darauf, dass jemand den guten Lord Gloucester ständig im Auge behält. Als er das letzte Mal hier war, hat er sich mit einer vergoldeten Tabaksdose davongemacht.«
»Ja, Mylord«, sagte Tom und nickte. »Seht, Mylord - der Hunne ist da!«
Und tatsächlich, Stephan von Namtzen, Landgraf von Erdberg, war in all seiner gefiederten Glorie eingetroffen und strahlte, als sei Clives Sieg sein persönlicher Triumph gewesen. Nachdem er Jack Byrd, der dabei ein sehr verblüfftes Gesicht zog, seinen Helm gereicht hatte, erspähte er Grey, und ein enormes Lächeln breitete sich über sein Gesicht.
Die dazwischen stehende Menge behinderte sein Vorankommen, wofür Grey vorerst dankbar war. Eigentlich war er mehr als erfreut, den Hannoveraner zu sehen, doch die Vorstellung, in aller Öffentlichkeit begeistert umarmt und auf beide Wangen geküsst zu werden, wie es von Namtzens Gewohnheit war, wenn er Freunde begrüßte …
Dann traf der Bischof von York ein, gefolgt von sechs kleinen, schwarzen Jungen in goldenem Tuch. Ein lautes Buummm ! flussabwärts, und das Geschrei der Menge auf der Vauxhall Bridge verkündeten den Beginn des eigentlichen Feuerwerks, und die Musiker begannen mit Händels »Wassermusik«.
Zwei Drittel der Gäste eilten auf die Terrasse hinaus,
um besser sehen zu können, sodass die ernsthaften Trinker und jene, die sich unterhalten wollten, ein wenig Platz zum Atmen hatten.
Grey nutzte den plötzlichen Exodus, um sich hinter der Bambuswand Erleichterung zu verschaffen; zwei Flaschen Champagner forderten ihren Tribut. Es
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