Das Meer der Seelen Bd. 1 - Nur ein Leben
vor Kälte und Sauerstoffmangel immer langsamer wurde. Wie sehr ich auch versuchte, nach oben zu gelangen, ich konnte dieses Oben nicht finden , und ich konnte meine Arme nicht dazu bringen, sich zu bewegen. Das Wasser wurde dunkler, während ich meiner Taschenlampe auf den Grund des Sees folgte.
Bläschen für Bläschen entwich die Luft aus meine Lunge.
Neben mir gurgelte Wasser in einem Strudel, wo es hätte unbewegt sein sollen. Als meine Zehenspitzen den Grund berührten, strich ein Lichtschein über meine Augenlider, und etwas schlang sich um meine Taille. Ich schoss nach oben. Der Griff um meine Taille wurde fester und zog mich durch schwarzes Wasser.
Das langsame Pochen meines Herzens schien aus immer weiterer Ferne zu kommen. Mein Brustkorb zuckte, als ob mich das zum Einatmen verleiten sollte. Ich konnte nicht länger den Atem anhalten. Meine Lunge würde platzen, wenn ich nicht etwas hineinließ, um den Druck zu lindern.
Ich konnte nicht dagegen an. Ich schluckte Wasser und überließ mich der Kälte.
Die Zeit trieb in einem eisigen Dunst dahin. Wasser strömte um mich herum und durch mich hindurch, und alles wurde glatt und schwarz wie Obsidian.
Ich lag auf dem Rücken.
Etwas schlug auf meine Brust. Ein Stein. Eine Faust. Zorn. Kälte und Nässe pressten sich auf meinen Mund, und Hitze blies hinein. Das Hämmern auf meine Brust ging weiter, und in mir bildete sich eine Blase, wuchs und drängte hinaus.
Ich nahm ein dunkles, triefendes Gesicht wahr, ehe ich einen Herzschlag später Seewasser spuckte. Es brannte wie Feuer in meiner Kehle, aber ich hustete und spuckte, bis mein Mund trocken war. Ich fiel wieder auf den Rücken, als das Zittern kam und mich wie die Fensterscheiben des Purpurrosenhauses in einem Sturm durchschüttelte.
Der eisige Wind war kälter als der See, aber ich atmete. Ich war am Leben. Die Luft von jemand anderem erfüllte mich. Ich zwang mich, die Augen zu öffnen, und konnte es kaum glauben, dass jemand sich die Mühe gemacht hatte, mich zu retten.
Das Eis und die zunehmende Schwärze mussten meine Sicht getrübt haben, denn ich sah den besorgten Ausdruck eines Jungen in Erleichterung umschlagen. Vielleicht spielten mir meine schwindenden Sinne einen Streich, denn er schien mich anzulächeln. Ausgerechnet mich.
Dann verlor ich das Bewusstsein und versank in dunkle Träume.
Wolldecken streiften mein Gesicht. Mein dicker Mantel und meine Stiefel waren verschwunden, und ich lag trocken auf der Seite. Meine Zehen und Finger kribbelten, als die Taubheit nachließ. Mir tat von dem Aufprall auf dem Wasser alles weh, aber das Einzige, was wirklich schmerzte , war die Wunde auf meiner Wange. Decken schlossen mich in einem Wärmepolster ein. Unklare Gedanken schlossen mich in diesem Traum von Sicherheit ein.
Etwas Festes drückte sich gegen meinen Rücken. Ein Körper atmete mit mir im Gleichtakt ein und aus, bis ich die Einheit zerstörte, indem ich darüber nachdachte. Ein Arm war um mich gelegt, und eine Hand ruhte auf meinem Herzen, wie um darauf zu achten, dass es weiterschlug, oder um dafür zu
sorgen, dass es nicht herausfiel. Ein warmer Atem in meinem Nacken bewegte die feinen Härchen auf der Haut.
Als ich gerade schläfrig weiterträumen wollte, sagte eine tiefe Stimme hinter mir: »Hi.«
Ich hielt den Atem an und wartete darauf, dass der Traum sich verändern würde.
»Das muss das erste Mal seit viertausend Jahren gewesen sein, dass jemand ein Bad im See mitten im Winter für eine tolle Idee gehalten hat. Es ist eine schreckliche Art zu sterben. Wolltest du einfach nur feststellen, ob sich das geändert hat?«
Ich riss die Augen auf, als mir klar wurde, dass ich nicht träumte. Ich sprang auf, die Beine in der Decke verheddert, und stieß mir den Ellbogen an einem kleinen Heizgerät. Das Zelt schien sich auf mich herabzusenken. Nur eine kleine Lampe erhellte den Raum, aber es war genug, um den Eingang mit dem Reißverschluss zu finden. Ich stürzte darauf zu.
Der junge Mann packte mich, und ich landete auf dem Hintern, zog jedoch dabei den Reißverschluss mit mir. Winterluft strömte herein, als ich mich seinem Griff entwand und in die Nacht hinausstürmte. Schnee funkelte im Mondlicht, trügerisch friedlich mit seiner erdrückenden Stille.
Wollsocken schützten meine Füße, bis ich zu einer Baumreihe am Ende einer Lichtung kam, dann piksten Kiefernnadeln und kleine Steine durch den Schnee. Es kümmerte mich nicht. Ich rannte einfach weiter, nur weg von den
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