Das Meer Der Tausend Seelen
sich einer Stadt oder Siedlung nähern würde, wäre Verteidigung unmöglich. Dagegen haben die Rekruter also außerhalb des Waldes gekämpft.
Und jemand wie Catcher – ein Immuner, der in der Lage ist, sich unter die Mudo zu mischen – könnte sie leiten, könnte Kontrolle über sie ausüben.
Der Wind streicht über den Berghang, streift meine Haut, fährt an meinem schweißnassen Nacken entlang.
»Wir müssen weiter«, flüstere ich. Hinter uns steht der Rekruter immer noch wie gelähmt am Zaun und starrt auf die Horde hinab. Drüben auf der Straße kämpfen seine Kameraden immer noch gegen die Mudo und machen einen nach dem anderen unschädlich. Schon bald werden sie unsere Verfolgung wieder aufnehmen können.
Ich fahre fort, Catcher Schritt für Schritt über den Abgrund zu lotsen, doch gleichzeitig rasen mir tausend Gedanken durch den Kopf, während ich überlege, wie wir die Verfolger abschütteln können, wie wir unversehrt bleiben. Und immer wieder komme ich zu dem gleichen Schluss: Nur am Zaun kann man den Abgrund überqueren, und die Rekruter kann man nur aufhalten, wenn man ihn irgendwie zerstört.
Als wir schließlich auf der anderen Seite angelangt sind, kniet Catcher beinahe nieder, um den bröselnden Beton zu küssen. Auch auf dieser Seite der Brücke türmen sich Autos am Zaun, die Mudo können also nicht an mich heran. Doch ich spüre, wie schief die Brücke steht, und es ist schwerer für mich, mit den Zehen auf dem Sims zu bleiben. Je mehr ich von meinem Gewicht mit den Händen zu halten habe, desto tiefer schneidet mir das Metall des Maschendrahts in die Finger.
Hinter mir ist der Rekruter fast bis zur Kluft vorgedrungen. Die Haken, mit denen er sich am Zaun festhält, bringen ihn auf dem Sims leichter voran. »Wir tun euch nichts«, ruft er mir zu. »Bei uns seid ihr sicher, das verspreche ich.«
Ich schüttele den Kopf, schiebe meine Fußspitzen zwischen die Maschen und versuche mich festzuhalten. Bei jedem Schritt von Catcher geht eine Erschütterung durch meine Beine, sein zusätzliches Gewicht bringt die Brücke zum Beben.
Meine Arme zittern und brennen vor Anstrengung. »Catcher«, keuche ich. »Die Autos.« Ich hole noch einmal Luft. »Auf der anderen Seite der Brücke.« Der Schweiß tropft mir in die Augen, alles verschwimmt. »Versuch doch, sie auf die anderen da zu schieben.« Ich verändere die Position meiner Hände. »Die Brücke steht nicht mehr sicher, wir müssen Gewicht loswerden. Wenn wir genug Autos auftürmen, reißt der Zaun vielleicht.«
Er schaut mich ungläubig an. »Machst du Witze? Der Zaun ist das Einzige, was dich auf dieser Brücke hält.«
Ich nicke und wische mir das Gesicht an der Schulter ab. »Ich weiß«, sage ich. »Aber anders geht es nicht. Ich klettere weiter, aber du musst ihn zerstören.«
Er springt auf das Auto neben mir und legt seine Hand für einen Moment auf meine. »Das ist zu riskant«, entgegnet er. »Wir können einfach weitergehen und versuchen, Vorsprung zu gewinnen.«
Ich schmecke Salz, weiß jedoch nicht, ob es Schweiß oder Tränen sind. »Ich kann nicht zulassen, dass sie dich kriegen, Catcher. Ich will mir nicht für den Rest meines Lebens ansehen müssen, wie sie dich ausnutzen, wohl wissend, dass es meine Schuld ist.«
»Gabry«, sagt er eindringlich. Aber ich schüttele nur den Kopf.
»Mir passiert nichts. Ich schaffe das schon«, antworte ich und versuche, überzeugend zu klingen. Ich ziehe meine Hand unter seiner heraus und entferne mich langsam.
Die Rekruter hinter uns sind uns dicht auf den Fersen. Ich kämpfe mich am Zaum entlang, die scharfe Neigung der Brücke macht das Festhalten immer schwerer. Ich schließe die Augen, versuche, nicht an die Horde zu denken, daran, dass die Zerstörung der Brücke meine einzige Verbindung zu Elias ausradiert – und zu meiner Mutter. Hoffentlich hatte Elias recht, und es gibt tatsächlich einen anderen Pfad aus dem Wald heraus. Einen Weg zur Dunklen Stadt.
Hinter mir höre ich Metall knirschen, als Catcher eine Autotür aufhebelt. Mit einem grässlich schrammenden Geräusch wälzt sich das Auto über die Brücke und rammt den Zaun, der erzittert. Ich bemühe mich, nicht aufzuschreien. Schon spüre ich, wie der Beton unter meinen Fußspitzen in Bewegung gerät, die Brücke ächzt unter der plötzlichen Verlagerung des Gewichts.
Der Rekruter gibt einen grunzenden Laut von sich. Als ich aufschaue, sehe ich, wie er den Halt verliert. Panisch versucht er, wieder auf das schmale
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