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Das Meer Der Tausend Seelen

Das Meer Der Tausend Seelen

Titel: Das Meer Der Tausend Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carrie Ryan , Catrin Frischer
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wirklich tun?« Ihm ist anzusehen, wie besorgt er ist. Er glaubt nicht, dass es funktionieren wird, das weiß ich.
    »Ja«, sage ich, denn ich darf den Glauben nicht verlieren, dass wir es schaffen können, dass wir eine Chance haben. Hinter uns rennt ein Rekruter über die Straße auf uns zu. Er wirkt grimmig entschlossen. Während ich auf das Sims klettere und die Finger durch den Maschendraht stecke, zerrt Catcher zwei der Kinder aus dem Bus und schleudert sie dem Rekruter entgegen.
    Der Mann lässt sich auf ein Knie fallen und legt die Armbrust an. Als er den nächsten Schuss abfeuert, quellen noch mehr Mudo über den Bus. Wie Wasser nach einem Dammbruch schwemmen sie heran. Die anderen Rekruter rufen und lassen die Pfeile schnellen. Doch ich konzentriere mich darauf, mich auf dem Sims zu halten, atme tief durch und sage mir, dass ich stark sein und an mich glauben muss.
    Mir gegenüber begibt Catcher sich in die Mudo-Massen auf der Brücke, hält sich dicht am Zaun. Auf dem Sims, auf dem ich stehe, finden meine Zehen gerade eben Halt, ich klammere mich an den Maschendraht und spüre Catchers Hitze an meinen Fingern.
    »Schau nicht nach unten«, sagt er … aber … zu spät. Das Tal liegt tief unter mir noch im Morgennebel, und das Tosen des Wassers umgibt uns.
    Mudo wollen sich auf mich stürzen, rütteln an den Zäunen, versuchen mir Catchers Schutz zu entziehen. Er müsste nur stolpern oder nach hinten fallen, dann wären sie da, und meine Fingerspitzen würden ihre scharfen Zähne zu spüren bekommen. Ich schlucke, meine Beine fangen an zu zittern.
    »Sieh mich an, Gabry«, sagt Catcher. Ich nicke, hebe den Kopf, starre ihn an. »Bist du bereit?«
    Wieder nicke ich. Dann geht es Stück für Stück langsam über die Brücke. Inmitten von drängelnden, schiebenden, stöhnenden Mudo bleibt Catcher immer vor mir. Ich mache einen Schritt, packe den Zaun an einer anderen Stelle, Catcher folgt mir und schützt mich vor den toten Zähnen.
    Ich konzentriere mich auf jede winzige Bewegung, achte darauf, wohin ich meine Zehen setze, wie meine Finger sich um das rostige Metall legen. Ich spüre, wie der Zaun sich wellt, wenn ich zugreife – und wie die Mudo daran zerren.
    Und ich konzentriere mich auf Catchers Augen, darauf, wie er meine Hände mit seinen schützt, und habe die Gewissheit, dass er alles für meine Sicherheit tun würde.
    Hinter uns versuchen die Rekruter brüllend die Mudo zu bezwingen, sie wollen nicht aufgeben und kämpfen sich die Straße entlang.
    »Hast du gewusst, dass es im Wald all diese alten Städte und Dörfer gibt?«, fragt Catcher.
    Mir läuft der Schweiß den Nacken runter und über die Schultern. Das Blut rinnt noch immer aus der Wunde an meinem Arm und tropft in die Leere. Der Wind umtost uns. »Was?« Der Draht schneidet mir in die Finger, und ich bekomme einen Krampf in den Zehen, die sich an den schmalen Betonstreifen klammern.
    Einen Schritt nach dem anderen bewegen wir uns voran. Catcher versucht mich von allem anderen abzulenken, damit ich mich nur auf ihn konzentriere und mir keine Gedanken darüber mache, dass mich nur ein paar Zentimeter Beton und ein alter, brüchiger Drahtzaun von einem Sturz in die Tiefe abhalten.
    »Draußen im Wald«, sagt er, »bin ich mal auf so etwas gestoßen. Als ich den Weg zurückgelaufen bin und überprüft habe, ob uns die Rekruter verfolgen. Das war kein eingezäuntes Dorf, sondern eine ganze Stadt, die einfach gestorben war.«
    Ich schlucke und nicke, schaue nach unten … und mein Fuß rutscht ab, aus der Brücke löst sich ein Stück und fällt in die Tiefe. Catcher steckt die Finger durch den Zaun und will meine Handgelenke packen. Ich greife nach seinen Händen, zittere am ganzen Körper.
    »Schau nicht nach unten, Gabry«, murmelt Catcher. »Wir haben es fast geschafft.« Doch das ist gelogen. Wir sind gerade mal auf der Hälfte angelangt. Die Mudo drängen um ihn herum, rempeln ihn an, aber er lockert den Griff nicht. Überall um ihn herum ist Tod. Das Stöhnen überlagert alles.
    Wir bewegen uns weiter, immer seitwärts, mein Fuß schiebt sich über den schmalen Betonstreifen, Catcher rückt am Zaun entlang, ich versuche nicht an die Leere unter mir zu denken.
    »Das Besondere an diesen Städten ist«, fährt Catcher fort, ohne den Blick von mir abzuwenden, »dass dort alles unverändert zu sein scheint. Sie sind nicht geplündert worden, weil es dort von Mudo wimmelt. Doch ohne lebendige Menschen befinden sich die Mudo im Halbschlaf. Sie

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