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Das Meer Der Tausend Seelen

Das Meer Der Tausend Seelen

Titel: Das Meer Der Tausend Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carrie Ryan , Catrin Frischer
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liegen einfach nur da. Ganz still.«
    Mir fällt ein, dass Elias mir von diesem Nachmittag erzählt hat, den er im alten Flugzeugdenkmal verbrachte. Von der Stille, in der der Schnee gefallen war. Und ich schiebe mich weiter über die Brücke. Jedes Mal, wenn ich umgreife, legen sich Catchers Hände auf meine.
    Etwa auf halbem Weg über die Brücke türmen sich die Autos am Zaun und halten die Mudo von ihm fern. Catcher will über die Trümmer klettern, hält aber dann inne.
    »Was ist?«, frage ich. Der Wind ist stärker hier, das Stöhnen peitscht auf mich ein. Catchers Gesicht ist schweißüberströmt.
    An den Trümmern drängen sich die Mudo, doch das verbeulte Metall hält sie mir vom Leib. Catcher starrt auf die Straße auf der anderen Seite.
    »Was ist?«
    Er fährt sich mit der Zunge über die Lippen und antwortet mit zitternder Stimme: »Da ist eine Lücke in der Brücke.«
    Ich schaue am Zaun entlang, kann aber nirgendwo ein Loch entdecken. »Wie meinst du das?«
    »Die Straße ist weggebrochen«, sagt er. »Die Mudo stürzen ab.«
    Ich schaue nach unten und sehe Leiber von der Brücke regnen, die noch im Fall die Arme nach mir ausstrecken. »Dann müssen wir irgendwie bis auf die andere Seite kommen, und wir sind sie los«, sage ich. »Wir müssen uns keine Sorgen mehr machen, dass sie mich erwischen.«
    Er schweigt, und ich wünschte, ich könnte die Finger durch den Maschendraht stecken und ihn packen. Er will mich nicht ansehen. »Catcher?«
    »Ein riesiges Stück ist weggebrochen, Gabry. Ich komme da nicht rüber.«
    Sein Gesicht ist aschfahl. Ich schiebe mich am Zaun entlang, bis ich an den Autos vorbei bin. Dann sehe ich, was er meint. Da ist nichts, nur eine Kluft, der Beton bröckelt, rostige Metallstreben winden sich umeinander. Dahinter neigt sich die Brücke weit zur Seite. Das Einzige, was über den Abgrund führt, ist der schmale Streifen, auf dem ich stehe. Würde der wegbrechen, würde der ganze Abschnitt ins Tal stürzen.
    »Auf deiner Seite ist auch ein Sims«, sage ich. Noch mehr Mudo fallen, ihr Stöhnen verhallt in der Tiefe. »Mach es so wie ich – halt dich einfach am Zaun fest.«
    Er schüttelt den Kopf. »Das kann ich nicht.«
    »Hör mir zu, Catcher.« Er schüttelt immer noch den Kopf, starrt auf die Kluft und in die Tiefe. »Schau mich an.« Mit todesbleichem Gesicht und weit aufgerissenen Augen wendet er sich mir zu.
    »Das schaffe ich nicht, Gabrielle. Ich kann das nicht«, flüstert er.
    Eine wellenförmige Bewegung geht durch den Zaun, ich schaue mich um. Ein Rekruter versucht uns zu folgen. Statt den Zaun mit den Fingern zu umklammern, benutzt er zwei Metallhaken, die notdürftig aus Autotrümmern zurechtgebogen sind.
    Ich habe einen Krampf in den Zehen, meine Waden schmerzen höllisch. »Du hast keine Wahl, Catcher«, sage ich. »Das gilt für uns beide. Hier können wir nicht bleiben, und zurück können wir auch nicht.« Ich zögere, bevor ich sanfter nachschiebe: »Nun komm schon, Catcher.«
    Seine Hände zittern. Er rutscht vom Auto runter auf den Zaun zu.
    »Du schaffst das«, raune ich ihm zu, als er die Arme nach mir ausstreckt. Er schiebt die Finger durch den Maschendraht, ich lege die Hände darauf. Er schaut mir in die Augen, aber ich merke, dass ihm das Fokussieren Mühe macht.
    »Ich bin’s, Catcher«, sage ich. »Sieh mich einfach an.«
    Er nickt, ich spüre seinen keuchenden Atem. Er stellt sich auf das Sims, dann stehen wir einander gegenüber und halten uns durch den Zaun hindurch an den Händen fest.
    Langsam schiebe ich einen Fuß seitwärts, und er folgt meinem Beispiel. Doch als ich nach einem neuen Halt greife, werden seine Augen ganz groß, und er senkt den Blick. Ihm bleibt die Luft weg, und Panik durchzuckt ihn.
    »Nur noch einen Schritt, Catcher. Zusammen schaffen wir das«, sage ich und bemühe mich, ruhig zu bleiben. Doch er schüttelt schon den Kopf und zittert so heftig, dass er sich kaum auf dem schmalen Sims halten kann. Ein Fuß rutscht ab, er schwankt, der andere Fuß verliert ebenfalls den Halt.
    Ich muss einen Schrei unterdrücken, als ich ihn so da hängen sehe. Seine Finger klammern sich verzweifelt an den Zaun.
    Trotz meiner Wadenkrämpfe gehe ich in die Hocke, bis mein Gesicht genau vor seinem ist. »Catcher«, flüstere ich. »Schau mich an, Catcher.«
    Das Herz schlägt mir bis zum Hals. Ich spüre seinen Puls unter den Fingern. Zögernd öffnet er ein Auge, aber sein Blick irrt durch die Gegend.
    »Catcher«, flüstere ich noch

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