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Das Meer in deinem Namen

Das Meer in deinem Namen

Titel: Das Meer in deinem Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Koelle
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noch schwerer machen. Aber was soll’s, noch darf ich hier sein, dachte sie.
    Während sie auf das Kochen des Teewassers wartete, betrachtete sie verträumt die dicke Kerze, bei deren Schein Harry und sie sich bis spät in die Nacht Geschichten erzählt hatten, als ob sie sich seit Jahren kannten. Sie erinnerte sich, wie die Flamme aus ihrem Sandgehäuse Lichter auf seine etwas zu langen dunklen Locken geworfen hatte und die unbeabsichtigten Schattenspiele seiner Hände an die Wand warfen. Wenn man die Kerze bei Tageslicht betrachtete, sah sie aus wie ein Kokon, aus dem irgendwann ein Schmetterling schlüpfen konnte oder eine geheimnisvolle Nachtmotte.
    Man könnte das Design verbessern, dachte Carly. Nicht nur Löcher in die Kruste schneiden, sondern kleine Steine, Muscheln und Blätter mit eingießen, so, dass sie gerade außen am Wachs hafteten. Notfalls konnte man sie sicher mit einem extra Tropfen befestigen.
    Sie sah sich um. Henny hatte noch so viele Wachsreste gesammelt, die in diversen Tüten und Dosen auf der Ecke des Tisches standen, wohin sie sie gestern geschoben hatte. Es wäre ein Jammer, sie wegzuwerfen, zumal die Methode mit dem Sand so effektiv war. Das wäre doch eine Gelegenheit, Abschiedsgeschenke für alle zu machen, die sie verteilen konnte, wenn sie fort musste. Jakob, Elisa, Synne, Daniel, Flömer, Myra – sie alle hatten ihr geholfen und hatten ein handfestes Danke verdient. Thore auch, und Tante Alissa, der sie irgendwann beichten musste, dass sie nicht nur am, sondern sogar im Meer gewesen war.
    „Hey, Schwesterlein!“ Sich die Augen reibend kam Ralph in die Küche. „Wo warst du gestern, ich habe versucht, dich anzurufen. Du hättest ins Café Namenlos kommen können. Da war Party mit Live Musik – ich habe mit Synne getanzt, und dann kam noch Elisa und dieser Daniel, netter Typ. Die haben da einen Krabbencocktail, sage ich dir, und auch die Cocktails von der anderen Sorte sind genial.“
    „Ich habe mein Handy zuhause gelassen, weil ich nicht wollte, dass es am Strand jemand klaut. Ich war nämlich noch mal schwimmen!“, verkündete Carly stolz.
    Ralph wurde erstaunlich schnell hellwach.
    „Alleine?“
    „Jawohl. Alleine. Und es war toll.“
    Im Nachhinein machte ihr Abenteuer mit der Nebelbank Carly noch euphorischer. Sie hatte auch eine Gefahrensituation überstanden. Gut, mit ein wenig Hilfe – aber wie hatte Harry gesagt? „Du hättest es auch allein geschafft.“ Ja, das hätte sie. Und die Angst, die hatte der Nebel mit sich genommen, hoffentlich für immer.
    Ralph umarmte sie, schwang sie im Kreis.
    „Hey! Ich wusste es! Das Fischchen fliegt wieder! Juhuuu!“
    „Der Floh springt ja auch wieder.“ Carly lachte ihn an. So zerknüllt und unrasiert wie heute hatte sie ihren Bruder noch nie gesehen. Aber wie lebendig er wirkte!
    „Komm frühstücken. Und dann kannst du mir was helfen.“
    „Was denn?“ Argwöhnisch betrachtete er die alte Zinkwanne, die Carly auf die Terrasse gestellt hatte.
    „Du kannst mir helfen, die Wanne mit Sand zu füllen. Und dann machen wir Kerzen.“
    „Aha.“

    Dieser Tag verging wie einer, der aus ihrer frühen Kindheit auf magische Weise in die Gegenwart gefallen war. Sie trugen die Wanne den Hang hinauf und mit feinem Sand gefüllt wieder herunter, klopften den Sand fest, buddelten völlig selbstvergessen Löcher hinein, neckten sich dabei. Mittags aßen sie eine Dose kalte Ravioli. Danach sammelten sie kleine Kiesel, Samenkapseln, Blätter, Muscheln und Hölzer im Garten und drückten sie in die Formen. Sie kleckerten mit heißem Wachs und kratzten es hinterher wieder vom Boden.
    „Jetzt müssen sie abkühlen“, erklärte Carly atemlos, als sie das letzte Loch gefüllt hatten.
    „Hier!“ Ralph, der im Kühlschrank gestöbert hatte, reichte ihr ein Glas Saft.
    „Lass uns solange schwimmen gehen“, schlug Carly vor.
    „Du kannst wohl nicht genug bekommen? Heiß genug ist es ja.“
    Carly konnte von ihrer neuen Freiheit tatsächlich nicht genug bekommen. Sie hatte schon so viel Zeit verschwendet. Jetzt blieb ihr hier nicht mehr viel davon, und die Tage, die sie noch hatte, wollte sie ausnutzen, auch im Meer.
    Also gingen sie schwimmen, jagten sich gegenseitig durch die Brandung, in der sich trotz der Wärme ein früher Herbstwind austobte.
    Auf dem Heimweg kaufte Ralph für jeden ein Eis am Stiel.
    „Es ist doch schön, einen großen Bruder zu haben.“ Carly schmeckte Sommer, Kindheit und ein unerwartetes neues Glück.

    Kaum

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