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Das Meer in deinem Namen

Das Meer in deinem Namen

Titel: Das Meer in deinem Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Koelle
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Pinzetten und Feilen, die sie in eine Küchenschublade sortierte.
    Da der Sperrmüllsack, den sie zu füllen begonnen hatte, noch reichlich Platz bot, entsorgte sie gleich noch Teller und Tassen, die angeschlagen waren oder Risse hatten, ebenso wie hoffnungslos angebrannte Töpfe. Während sie sich durch die Schränke arbeitete, ließ sie auf dem Herd Wachs im Wasserbad schmelzen. Es duftete heimelig nach Weihnachten.
    Bald sah die Küche entschieden ordentlicher aus als zuvor. Befriedigt suchte sich Carly eine leere Raviolidose und füllte sie mit feuchtem Sand. Dafür musste sie nicht an den Strand; oben auf dem Grundstück befand sich jede Menge Sandboden. Sie packte den Sand fest in die Dose und höhlte in der Mitte einen unregelmäßigen Zylinder aus. Quer über die Öffnung legte sie einen Bleistift, an den sie einen Docht gebunden hatte. Vorher hatte sie diesen in das heiße Wachs getaucht und abkühlen lassen, damit er gerade blieb. Nun musste sie nur noch das heiße Wachs vorsichtig in die Form gießen und abkühlen lassen. Das war spannend. Wie die Kerze wohl aussehen würde, die dabei herauskam?
    Ihre Arme waren müde vom Räumen, Putzen und dem schweren Topf. Carly setzte sich an den Tisch, der jetzt jede Menge Platz bot. Einen Moment Ruhe hatte sie sich verdient. Draußen lag der Spätnachmittag zufrieden im Garten; in der Stille leuchteten die blauen Blüten des Eisenhuts und die wilde Möhre noch eindringlicher als sonst. Sie wussten, dass ihnen nicht mehr viel Zeit blieb. Die Tage wurden spürbar kürzer und die Nächte kühl.

    Carlys Gedanken wanderten zu dem Brautkleid, das wieder einsam und ordentlich in der Schachtel lag, jetzt oben in Hennys Schrank. Es machte sie traurig. Sie stellte sich Henny darin vor, mit strahlenden Augen und fliegenden Locken, wie sie in den Armen eines schlanken, großen Mannes tanzte, dessen Gesicht Carly nicht erkennen konnte. Henny tanzte im Garten, von der Tür Naurulokkis den Hügel herunter bis zum Gartentor, barfuß zwischen Pusteblumen, eine blaue Blüte im Haar. Auf einmal waren sie am Strand. Henny tanzte am Saum der Wellen, die höher schlichen, ihr folgten. Der fliegende Saum ihres langen Kleides war nicht mehr zu unterscheiden von den weißen Schaumkronen, wurde eins mit ihnen. Die gestickten Möwen auf Hennys Schulter begannen zu flattern, flogen auf, stoben in einem Schwarm davon und verschwanden dort, wo man vom Meer in den Himmel fahren konnte. Der Mann, der Henny im Arm hielt, schien geschrumpft, war auf einmal kleiner als Henny, oder stand er nur tiefer im Wasser? Jetzt konnte Carly auch sein Gesicht erkennen, es war – Thore! Sie wollte ihn rufen, aber ein gewaltiger Lärm übertönte ihre Stimme, er konnte sie nicht hören ...
    Carly schreckte auf. Auf dem Boden rollte eine leere Blechbüchse aus, die sie offenbar im Schlaf mit dem Ellenbogen vom Tisch gestoßen hatte.
    „Autsch!“ Ihr Rücken schmerzte, als sie aufstand und sich nach der Dose bückte. Warum fühlte sie sich so bedrückt? Warum hatte sie ein schlechtes Gewissen? Sie forschte in ihrem Traum. Nein, was sie bedrückte war das Gefühl, dass das Kerzenherstellen zwar eine feine Sache war – aber eine Zukunft konnte sie sich nicht aus Wachs formen. Seit sie hier war, hatte sie noch keine neue Bewerbung abgeschickt. Am liebsten hätte sie die Zeit angehalten. Einfach für immer hier in der Küche von Naurulokki sitzen, unter dem alten Reetdach geborgen, sich im Weiß und Blau der Blumen draußen, dem Flüstern des Meeres und den Möwenrufen ausruhen.

    Prüfend drückte sie einen Finger in die Kerzenform. In der Mitte noch weich, außen fest. Perfekt. Mit einem langen Löffel grub sie die Kerze aus, drehte sie um, bürstete den überflüssigen Sand ab und schnitt den Docht auf eine vernünftige Länge zurück. Noch stand die Kerze schief, also schnitt sie sie mit einem Küchenmesser unten gerade. Eine interessante Form hatte die Kerze, angenehm unregelmäßig, wie etwas natürlich Gewachsenes. Sanftblau lag das Wachs in der sandigen Kruste. Einem Impuls folgend kratzte Carly einige muschelförmige Löcher in diese Kruste, durch die das Blau nach außen hindurchleuchten konnte. Suchend sah sie sich um. Die Kerze brauchte einen Halter. Ein alter Porzellanteller erschien ihr langweilig. Da, das gekrümmte Stück Treibholz: wenn sie es herumdrehte, wurde es zu einem schiefen Dreibein, und an einer Stelle stand ein Aststummel hoch wie ein Dorn. Damit die Kerze das Holz nicht anbrennen

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