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Das Meer in deinem Namen

Das Meer in deinem Namen

Titel: Das Meer in deinem Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Koelle
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eine Tür offen.
    Was für eine Küche! Sie hatte drei Fenster in drei Richtungen, nahm also das gesamte Ende des Hauses ein. Der Tür gegenüber befand sich das Waschbecken mitsamt einer großzügigen hölzernen Arbeitsplatte, links der Tür Kühlschrank und Schränke. Die Hälfte des Raumes wurde von einer Essecke dominiert. Die weiß verputzte Eckbank war gemauert und mit Kissen im verwaschenen Grün der Fensterrahmen belegt, auf der anderen Seite des schweren Holztisches standen gemütliche Korbstühle. Carly war begeistert; sie liebte Korbstühle und ihr Knarzen, wenn man sich hineinsetzte. Sie waren nicht lackiert, sondern hatten denselben silbergrauen Schimmer wie das Gartentor, so, als hätten sie lange draußen gestanden.
    In der anderen Ecke befanden sich eine leere Staffelei, an der eine Schürze hing, und ein Tisch, voll mit Werkzeug, Zeichenpapier, Pinseln und dergleichen.
    Carly fischte die Tüte mit Brot, Käse und Äpfeln aus ihrem Koffer und deponierte sie in dem betagten Kühlschrank, der ziemlich laut brummte, aber offenbar kühlte. Sie spülte einen Becher aus schwerem grünem Glas aus, der im Waschbecken stand, ließ das Wasser eine Weile laufen, kostete. Es schmeckte weicher als in Berlin, aber unbedenklich.
    Während sie stand und trank, fiel ihr Blick auf ein Wandbrett über der Spüle. Darauf lag ein seltsam geformtes Stück Treibholz, nicht flach, wie die für das Gartentor verwendeten, sondern rundlich, mit geschwungenen Zipfeln in alle Richtungen und einer Art Gesicht an einem Ende. Es ähnelte entfernt einem freundlichen Kugelfisch. Carly strich mit dem Finger über die seidige Oberfläche. Da sah sie einen Zettel darunter liegen. Es war ein Kassenzettel. „1 kg Tomaten, 100 g Mortadella, 1 Vollkornbrot“, las sie.
    Darunter stand ein handschriftlicher Satz in schwarzer Tinte:
    „Joram Grafunder lebt. Als ich heute nach Hause kam, lag dieses Holz vor meiner Tür. Wer sonst als er hätte es mir gebracht? Er muss leben! Niemand glaubt es. Ich habe immer gespürt, dass er noch hier ist; dies ist die Antwort. Oder jedenfalls der Anfang einer Antwort.“
    Das Datum war der dreißigste April. Henny Badonin war Ende Mai gestorben, Thore hatte es erwähnt. Für die Antwort, die sie suchte, war ihr nicht viel Zeit geblieben.

    Wer war Joram Grafunder? Hatte er das hölzerne Gartentor geschaffen? In welcher Beziehung stand er zu Henny Badonin? Das „muss“ hatte sie dick unterstrichen. Also war Joram Grafunder wichtig für sie gewesen. Und offenbar hielt man ihn für tot, ohne Gewissheit zu haben.
    Unwillkürlich sah Carly auf den Boden. Gab es hier etwa auch einen Teppich? Einen, unter dem der Tod auf einen gewissen Joram Grafunder und kurz danach auf Henny Badonin gelauert hatte?
    Doch da waren nur blanke Dielen. Wunderschöne, lange Dielenbretter, dunkel vom Alter.
    Carly schüttelte den Kopf über sich selbst und machte sich auf, den Rest des Hauses zu erforschen. Sie hatte sich noch nie gefürchtet, allein in Häusern. Eine Zeitlang hatte sie in der Urlaubszeit auf die Häuser anderer Leute aufgepasst, um sich etwas dazuzuverdienen. Auf Thores alte Villa übrigens auch. Dort hatte es nachts Geräusche im Gebälk gegeben und das Parkett knarrte, als sei er ständig anwesend.

    Im Flur gab es noch eine Tür gegenüber der, die zur Küche führte. Sie öffnete sich in ein Wohnzimmer, das einen Schwarm Bilder an den Wänden, aber nur wenige Möbel hatte: Ein Sofa, ein Sessel und ein kleiner Beistelltisch, ein Fernseher in einer Ecke und ein asymmetrisches Regal. Kein Teppich. Carly war auf einmal hundemüde. Sie setzte sich einen Augenblick, um ein Gefühl für den dämmrigen Raum zu bekommen. Die Fernbedienung lag auf dem Tisch, jedoch der Fernseher reagierte nicht. Bestimmt war er ausgesteckt, aber Carly hatte weder Lust, den Stecker zu suchen noch den Lichtschalter. Auf dem Tisch lag auch eine Zeitschrift. „ Ambiente “, las Carly. Darauf saß eine kleine Ente, aus Holz geschnitzt. Sie sah der Möwe am Schlüssel ähnlich, nur hatte sie ein eigenartiges Gesicht, fast menschlich. Absichtlich dümmlich sah sie drein und trug die dazu passende Frisur. Eine ziemlich gelungene Karikatur. Carly drehte sie um und fand, was sie halb erwartet hatte: dieselben kleinen Buchstaben. Für H. von J.G.
    Aus der Zeitschrift lugte ein Zettel. Diesmal eine ganz andere Handschrift auf einem linierten Stück Papier wie aus einem Schulheft.
    „Dies ist eine Ambi-Ente“, stand da. „Sie muss diesen

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