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Das Meer in deinem Namen

Das Meer in deinem Namen

Titel: Das Meer in deinem Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Koelle
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es sie nicht.
    Je weiter sie nach Norden kamen, desto mehr bezog sich der Himmel. Hin und wieder fuhr ein Wind ins Getreide, drückte Wellen hinein, als wolle er das Meer vorwegnehmen. Am liebsten wäre Carly ausgestiegen und durch die Gerste getobt.
    Sie hatte zu viel Beton gesehen in den letzten Jahren, wurde ihr bewusst. Doch Thore und die eigenartige Hassliebe zu ihrer verrückten Heimatstadt hatten sie gehalten. Jetzt, da am Horizont kein Haus zu sehen war bis auf ein paar einsame Höfe, war auf einmal etwas anders, als wäre ein Bruch durch ihr Leben gegangen. Etwas hatte sich verschoben; sie fühlte sich leicht, frei auf Zeit.

    Auf diesem heiteren Freiheitsgefühl schlief sie irgendwann ein, den Schlüssel mit der Möwe noch immer in der Hand. Sie wachte auf, als jemand sie anstieß.
    „Sie haben etwas verloren“, sagte eine freundliche Stimme und hielt ihr den Schlüssel entgegen.
    „Oh, danke ... wo sind wir?“, fragte Carly verwirrt.
    Die Fensterscheiben trugen jetzt silbrige Tropfen, in denen sich eine fremde Landschaft brach: ein Mosaik aus krummen Kiefern und geduckten Häusern.
    „Gerade an Wustrow vorbei. Wo wollen Sie denn hin?“
    „Ahrenshoop.“
    „Dann ist es nicht mehr weit. Ich wohne dort.“ Ein strahlendes Lächeln begleitete diese Worte, Carly konnte gar nicht anders, als zurückzustrahlen.
    „Ich bin Synne“, sagte die Frau mit den langen blonden Haaren und blauen Augen. Carly stellte sich blitzartig die Wikinger vor, von denen sie abstammen könnte. „Ich denke, wir können uns duzen, meinst du nicht?“ Sie schien etwa in Carlys Alter.
    „Ja klar. Ich bin Carlotta. Carly.“
    „Willkommen, Carly. Willst du hier Urlaub machen?“
    „Na ja, ich habe so etwas wie einen vierwöchigen Ferienjob.“
    „Fein, vielleicht sehen wir uns ja mal. Ich arbeite im Strandgut , das ist eine kleine Galerie. Wir verkaufen Bilder der ansässigen Künstler. Du hast vermutlich gehört oder gelesen, dass Ahrenshoop ein Künstlerdorf ist. Oder war. Die großen Zeiten sind lange vorbei. Aber doch nicht ganz. Komm einfach mal in den Laden.“
    „Gerne. Aber jetzt muss ich erst den Sanddornweg finden.“
    Sie waren gerade an einem gelben Ortsschild vorbeigerumpelt, das Carly verriet, dass sie ihrem Ziel ganz nahe war. Neue Aufregung wurde in ihr wach.
    „Wir steigen gleich aus, in Ahrenshoop Mitte. Dann läufst du ein Stück die Hauptstraße weiter, biegst in eine Straße ein, die Am Schifferberg heißt, und dann ist es die zweite Straße rechts. Das heißt, es ist wirklich nur ein Weg. Nur Mut, in Ahrenshoop kann man sich nicht verlaufen, die Halbinsel ist hier viel zu schmal.“
    Der Bus hielt klappernd. Synne sprang auf langen Beinen heraus und half Carly mit ihrem Koffer.
    „Da entlang!“, zeigte sie. „Viel Glück! Und vergiss nicht: besuch mich mal im Strandgut!“

    Carly sah sich um. Auf der schmalen Hauptstraße war beinahe so viel Verkehr wie in Berlin. Gegenüber erhob sich ein Deich, dahinter ein Dickicht aus Kiefern, Silberpappeln und Sanddornbüschen. Sie lief in die Richtung, die ihr Synne gewiesen hatte, an kleinen Häusern vorbei, die jedes ein anderes Gesicht trugen und fast alle ein Schild „Zimmer belegt“. Der Koffer polterte hinter ihr her und ein feiner Sprühregen hüllte sie ein, aber in der unerwarteten Windstille war er weich, eine Berührung wie ein Willkommen. Sie ließ die Kapuze ihrer Jacke unten.
    Am Schifferberg . Sie fand das Schild ohne Schwierigkeiten. „Berg“ war reichlich übertrieben, aber die Seitenstraße führte tatsächlich aufwärts. Hier waren die Häuser ein wenig größer, standen in großzügigeren Gärten, leicht verwildert die meisten. Moosige Schindeln oder gemütliche Reetdächer beschirmten sie. Statt von Gartenzäunen waren viele Grundstücke von niedrigen Wällen aus rundlichen Feldsteinen umgeben. Carly beschloss prompt, dass sie sich den Sanddornweg fünf genau so wünschte: mit einer solchen Feldsteinmauer rundum und, vor allem, einem Reetdach!

    Endlich bog sie in den Sanddornweg ein. Der Asphalt endete hier, der Weg bestand aus festgetretenem Sand. Fast wäre sie an der Nummer fünf vorbeigelaufen. Die hölzerne Pforte war zurückgesetzt in einem Feldsteinwall, wie sie ihn erhofft hatte. Junge Silberpappeln wuchsen zu beiden Seiten, so dass man den Eingang leicht übersehen konnte. Das niedrige Tor war ungewöhnlich. Carly fuhr staunend mit dem Finger darüber. Es war geschickt aus silbrigen, unregelmäßigen Ästen und

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