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Das Meer in deinem Namen

Das Meer in deinem Namen

Titel: Das Meer in deinem Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Koelle
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einzigartig geistlosen Artikel auf Seite sieben verfasst haben. Deine Bilder sind grenzenlos bereichernder für jedes Ambiente als die abgebildeten Scheußlichkeiten. Fortsetzung folgt, Joram.“
    Carly schlug Seite sieben auf und las eine Lobrede auf ein paar abstrakte Gemälde. Sie konnte Joram nur recht geben, was diese betraf. Die Zeitschrift war laut Datum fünf Jahre alt. Jorams Lob und die Ente mussten Henny also viel bedeutet haben, wenn sie noch immer den Tisch besetzten.
    Langsam wurde Carly neugierig auf diesen Joram Grafunder. Und auf Henny. Sie hatte also gemalt. Die Bilder an den Wänden? Doch es war zu dunkel geworden. Carly verschob es auf morgen, warf noch einen Blick in die beiden Nebenzimmer: ein sehr kleines Büro voller Papierkram und so etwas wie eine Bibliothek. Bücher für Thore also. Schön. Aber viel mehr interessierte sie jetzt ein Bett.

    Oben führte die Treppe geradewegs in einen kleineren Flur, der in ein Badezimmer mündete. Rechts und links gab es jeweils ein Schlafzimmer mit gemütlich schrägen Wänden. Carly drückte im erstbesten den Schalter neben der Tür und blinzelte in das plötzliche Licht. Ein großes Bett stand da, mit vier seltsamen Pfosten darum; obendrauf lag ein aufgeschlagenes Buch. Noch mehr Bücher und eine Tasse auf einem Nachttisch, Kleider über dem Fußende und einem Stuhl, eine Schachtel auf dem Fußboden. Henny, wie es schien, war manchmal genauso unordentlich gewesen wie Carly.
    Hier konnte sie nicht schlafen. Das hätte sich wirklich angefühlt, als verletze sie eine Privatsphäre. Irgendwann musste sie hier aufräumen, aber das schob sie erst einmal weit von sich. Ein Echo von Henny Badonin war in diesem Raum ganz deutlich lebendig, ebenso wie der Duft ihres Parfums, der heiter in der Luft lag. Carly schloss die Tür, öffnete die andere und atmete durch. Hier herrschte eine ganz andere Atmosphäre. Zwei einzelne weiße Betten standen, offenbar frisch bezogen, an den Wänden, eins direkt unter einem halbrunden Giebelfenster, eines an der Längswand. Es gab einen schlichten weißen Kleiderschrank und einen Stuhl sowie eine Frisierkommode mit einem runden Spiegel, an dessen Rahmen ein paar weiße Muscheln klebten.
    Carly holte einen Schlafanzug und ihr Waschzeug aus dem Koffer, ging ins Bad.
    Dort war an die Seite des Spiegels mit Tesafilm eine weitere linierte Schulheftseite geklebt.
    „Liebe Henny, heute ganz früh war ich am Waldrand, auf der Boddenwiese. Es war eine Grabesstille, wie ich sie noch nie erlebt habe: kein Wind, kein noch so leises Geräusch, nicht einmal das Licht hat sich bewegt, als die Sonne dann aufging. Da habe ich mich wirklich gefürchtet und gedacht, ich sei auf einer anderen Welt. Es war eine nur sekundenlange aber elementare Furcht mit Herzklopfen und flauem Magengefühl, es war aber keine Angst dabei ...
    Hast du so was schon mal erlebt, nicht in dir zu sein, sondern Lichtjahre weit weg?
    Ich frage dich das, weil ich mir unter meinen Freunden niemanden vorstellen kann, dem ich das zutraue – außer dir eben!
    GUT, DASS ES DICH GIBT!
    Fortsetzung folgt, Joram.“

    Die Großbuchstaben waren förmlich in das Papier geprägt, Joram musste seinen Kugelschreiber sehr nachdrücklich geführt haben, als er das schrieb.
    Carly spürte, wie die Gänsehaut ihre Arme entlang lief, dann ihre Kopfhaut.
    War das nicht genau das gewesen, was sie vorhin im Garten gefühlt hatte, ehe sie das Haus betrat?
    Sie wollte jetzt nicht darüber nachdenken. Sie wusch sich flüchtig, streckte sich dann dankbar unter der Bettdecke aus, der ein leichter Zitronenduft anhaftete.
    Durch das Fenster ahnte sie am Himmel einen rötlichen Nachklang des Sonnenuntergangs, der schon lange vorbei sein musste. Der Himmel benahm sich hier anders als zuhause.
    Gegenüber an der Wand hing eine zarte Kreidezeichnung von drei Schwalben, die über ein Stück Wiese flogen. Vorn waren die Kräuter und Blumen scharf gezeichnet, in liebevollem Detail, hinten wurde alles unscharf, verschwamm im Licht eines heißen Sommertages.
    Wo Thore wohl geschlafen hatte in jenen beiden Sommern als Kind?
    Da fiel ihr ein: Sie hatte ja versprochen, ihm heute noch Bescheid zu sagen, wenn sie gut angekommen war.
    Sie sah auf die Uhr. Zu spät. Das würde bis morgen warten müssen. Sie nahm noch behutsam das Schiff aus ihrer Tasche, stellte es auf das Fensterbrett. Nun war es wieder hier, wohin es gehörte. Obwohl kaum noch Licht war, leuchtete es wie von innen.
    Carly kuschelte sich ein.

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